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Angst kann verlernt werden
Aus Echo der Zeit vom 02.08.2018. Bild: zvg
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Verarbeitung von Traumata «Angst kann verlernt werden»

Haben Sie Höhenangst? Dann müssen Sie sich ihrer Angst stellen und sich der Höhe aussetzen. So können Ängste abgebaut werden. Das wissen wir aus der Psychotherapie. Aber: Wieso ist das so? Was passiert dabei in unserem Gehirn? Mit dieser Frage befasst sich Johannes Gräff seit gut vier Jahren.

Johannes Gräff

Johannes Gräff

Assistenzprofessor, Hirnforschungsinstitut ETH Lausanne

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Gräff ist 40 Jahre alt und betreibt seit vier Jahren Trauma-Forschung.

SRF News: Kann unser Gehirn die Angst vor bestimmten Erlebnissen verlernen?

Johannes Gräff: Ja, das scheint wirklich möglich zu sein. Man muss vielleicht präzisieren, dass man nicht von «verlernen» spricht. Wir konnten zeigen, dass ein Umlernen der Angst-Gedächtnis-Spur stattfindet. Man muss sich das so vorstellen, dass die Angsterinnerung nicht unterdrückt wird, sondern dass tatsächlich diejenigen Zellen, die die Angst gespeichert hatten, diese Angst in ein Sicherheitsgedächtnis umlernen.

Und wie konnten Sie das feststellen?

Dazu benutzen wir Mäuse, in denen wir genau diejenigen Zellen visualisieren oder nachweisen können, die beim Abspeichern von Erinnerungen aktiv sind. Das muss man sich so vorstellen: Wir können Zellen mit einer bestimmten Farbe visualisieren, die aktiv sind, wenn das Tier eine Angsterinnerung hat. Dann können wir eine zweite Farbe brauchen und diejenigen Zellen nachweisen, die dann aktiv sind, wenn die Maus die ängstliche Erinnerung nicht mehr hat.

Wir denken, dass das ein sogenanntes Umlernen der Angst-Gedächtnis-Spur ist.
Autor: Johannes Gräff Forscher

Es stellte sich dabei heraus, dass ein Grossteil derjenigen Zellen, die wirklich aktiv waren, wenn die Maus noch ängstlich war, auch weiterhin aktiv sind, wenn die Maus keine Angst mehr zeigt. Das heisst, etwas muss in der gleichen Zeitzirkulation stattfinden. Wir denken, dass das ein sogenanntes Umlernen der Angst-Gedächtnis-Spur ist.

Kind auf Glasbalkon
Legende: Sich seiner Angst stellen und sich zum Beispiel der Höhe aussetzen. So können Ängste abgebaut werden. Keystone

Dieses Umlernen fand dann statt, wenn sich die Maus wieder in diese Angst-Situation begeben hat.

Genau, das ist eigentlich eine Wiederholung dessen, was man beim Menschen macht: eine sogenannte Expositionstherapie. Und wie der Name sagt, bedeutet dies, dass der Mensch, oder in unserem Fall die Maus, immer und immer wieder dem ursprünglich angsteinflössenden Kontext oder der angsteinflössenden Umgebung ausgesetzt wurde. Auf der Verhaltensebene zeigt dann die Maus die Angst nicht mehr, oder die Angst ist eigentlich nicht mehr präsent. Diese Zellen visualisierten wir genau während dieses Prozesses.

Und was bringt uns das, wenn wir nun wissen, was im Gehirn genau passiert?

Nun, einerseits bestätigt es, was die Psychotherapie und die Psychologie schon lange empirisch und theoretisch nachweisen konnte: Es ist besser, sich der Angst zu stellen, als diese einfach zu unterdrücken. Zweitens eröffnet dies auch weitere Forschungsmöglichkeiten. Genau diejenigen Zellen, die wir jetzt identifiziert haben, können nun auch molekular und biochemisch untersucht werden.

Es ist besser, sich der Angst zu stellen, als diese einfach zu unterdrücken.
Autor: Johannes Gräff Forscher

Das heisst, wir wollen jetzt untersuchen, was genau innerhalb dieser Zellen passiert, welche Proteine zum Beispiel aktiv sind. Deren Identifikation wird dann wiederum Aufschluss geben, ob man allenfalls mit bestimmten Medikamenten, die auf genau diesen Zellen und auf genau diesen Proteinen wirken, die Expositionstherapie verbessern können, sprich: der Person helfen können, die Angst zu verlernen.

Sie konnten Forschungsergebnisse im renommierten Wissenschaftsjournal «Science» publizieren. Was löste das bei Ihnen aus, als Sie hörten, dass Sie es in dieses Journal geschafft haben?

Eine grosse Erleichterung und eine grosse Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Unsere Gruppe existiert noch nicht so lange; genau viereinhalb Jahre. Im Bereich der Gedächtnisforschung, im Bereich der traumatischen Erinnerungen, erinnert das doch ab und an ein bisschen an ein Haifischbecken, in dem man schwimmt. Gerade als angehender Forscher.

Das ist wirklich unser Baby.
Autor: Johannes Gräff Forscher

Besonders befriedigend ist, dass diese Arbeit nur in unserem Labor entstand. Das heisst, wir haben dazu nicht mit anderen Gruppen zusammengearbeitet, sondern das ist eigentlich wirklich unser Baby. Deswegen sind wir auch stolz darauf, dass wir es so weit gebracht haben.

Sie beschreiben die Traumaforschung als Haifischbecken. Warum?

Gerade in den USA, wo auch die ganz grossen, renommierten Forschungsgruppen arbeiten, ist die Traumaforschung ein grosses Forschungsgebiet. Man denke nur an die posttraumatische Belastungsstörung der Soldaten, die traumatisiert aus den verschiedenen Kriegszonen zurückkommen. Da will sich jeder ein bisschen ein Stück vom Kuchen abschneiden.

Da ist natürlich auch ein bisschen Geld involviert, deswegen erinnert es ein bisschen an ein Haifischbecken.
Autor: Johannes Gräff Forscher

Das heisst, wenn man mal eine Behandlung oder ein Medikament gefunden hat, das wirksam ist oder besser wirksam als die Medikamente, die im Moment gebraucht werden, kann das natürlich ein grosses Erfolgserlebnis darstellen. Dies geht dann auch mit bestimmten Interessen der Pharmaindustrie einher. Da ist natürlich auch ein bisschen Geld involviert, deswegen erinnert es ein bisschen an ein Haifischbecken.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

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