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Vergessenes Deutsch im Urwald Unserdeutsch: Mündliches Erbe der deutschen Missionare im Pazifik

Nur noch rund 100 Personen sprechen diese kreolische Sprache, die am Aussterben ist. Für Sprachwissenschaftler ist sie ein gehobener Schatz. Ihre Entstehung gibt Einblick in die Kultur der deutschen Kolonialisierung im Pazifik.

Unserdeutsch ist eine Sprache, die nur noch rund 100 Menschen auf Papua-Neuguinea und in Ostaustralien sprechen. Es ist eine Kreolsprache, deren Wortschatz auf das Deutsche und deren Grammatik auf Tok Pisin, die am weitesten verbreitete Verkehrssprache in Papua-Neuguinea, zurückgeht.

Hinter der Sprache Unserdeutsch kann man verstehen, was in Papua Neuguinea in der deutschen Kolonialzeit los war.
Autor: Péter Maitz Linguist an der Universität Augsburg

Pius Kikuchi, 84, hat die Geschichte seiner Sprache den Linguisten der Universität Augsburg erzählt. Sie sind in Papua-Neuguinea und Ostaustralien unterwegs, um die einzigartige Sprache umfassend zu dokumentieren. Dort, wo die letzten Menschen leben, die Unserdeutsch beherrschen. Rund 100 Personen sollen es noch sein.

Einzige Kreolsprache mit deutscher Grundlage

«Unserdeutsch» ist wahrscheinlich die einzige Kreol- oder Mischsprache der Welt, die auf der deutschen Sprache aufbaut. In ihrer Geschichte spiegelt sich die deutsche Kolonialgeschichte im Pazifik, sagt Professor Péter Maitz, der Leiter des Augsburger Forschungsprojekts: «Die Sprache ist die Oberfläche. Hinter der Sprache kann man verstehen, was da in Papua Neuguinea in der deutschen Kolonialzeit los war. Hinter der Sprache steckt das Schicksal einer kleinen Mixed-Race-Gemeinschaft.»

Die Mixed-Race-Gemeinschaft – gemeint ist das Zusammenleben zweier Kulturen –, von der Péter Maitz spricht, hat ihre Wurzeln in der Stadt Kokopo in Neuguinea. Dort, im Stadtteil Vunapope, entstand im 19. Jahrhundert eine katholische Missionsstation. Die Kinder auf dieser Station waren teils adoptiert, teils gekauft worden. Es waren vor allem Waisenkinder aus der Umgebung, gezeugt von europäischen Kolonialisten und asiatischen Immigranten mit indigenen Frauen.

Kinder entwickelten eine eigene Sprache

Tok Pisin, die herrschende Sprache, durften die Kinder nicht sprechen. Die Missionare verboten es ihnen. So entwickelten sie eine eigene Sprache, auf der Grundlage der Sprache der deutschen Missionare. Unserdeutsch besteht aus deutschen Worten, aber mit einer Grammatik, mit Lauten auch, die sich an der einheimischen Sprache Tok Pisin orientierten.

«Ein interessantes Charakteristikum ist, dass der Wortschatz für uns in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich veraltet anmutet. Er geht auf den Sprachgebrauch der vorletzten Jahrhundertwende zurück. Ein Ehemann heisst beispielsweise Herrgemahl», sagt Maitz.

Über Jahrzehnte entwickelte und konservierte sich die Sprache in den Schicksalsgemeinschaften, erst bei den Kindern, dann bei deren Nachkommen. Einige davon leben heute in Australien, wie Diana Kraus Kearney. Sie spricht noch Unserdeutsch. Sie ist stolz darauf. «Die Sprache wurde mir von meiner Oma und meiner Mutter weitergegeben», sagt sie.

Ein interessantes Charakteristikum ist, dass der Wortschatz für uns in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich veraltet anmutet.
Autor: Péter Maitz Linguist an der Universität Augsburg

Seit den Siebzigerjahren in der Wissenschaft bekannt

Dass die Sprache überhaupt wahrgenommen wurde, war purer Zufall. In den Siebzigerjahren wurde ein US-amerikanischer Linguist darauf aufmerksam, weil er eine unserdeutschsprachige Schülerin im Deutschunterricht hatte. Seit drei Jahren nun dokumentiert Péter Maitz mit seinem Team von der Universität Augsburg die Sprache.

Es sei eine sterbende Sprache, sagt Maitz. Doch es gebe Hoffnung. Seit sich die Wissenschaft dafür interessiere, sei auch das Selbstbewusstsein bei den Menschen gestiegen, die Unserdeutsch sprechen.

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