Kaum ein Quartier in der Stadt Zürich hat in den vergangenen Jahren einen solchen Wandel durchlaufen wie Zürich-West. Auf der Suche nach einem geeigneten Standort für die wachsende Industrie wurde das Quartier von der Stadt 1875 gegründet, worauf die grossen Industriebetriebe der Schweiz ihre Produktion an die Limmat verlagerten. Mit den Fabriken kamen auch die Arbeiter und das Bedürfnis nach Wohnraum. Von den Arbeitersiedlungen der vergangenen Tage ist heute in Zürich-West nicht mehr viel zu sehen. Im dynamischsten Quartier der Stadt dominieren Büro- und Wohnbauten aus Glas und Beton.
Die Zeugen der Industrie sind nicht ganz verschwunden, einige der alten Produktionshallen, wie der Schiffbau, wurden unter Denkmalschutz gestellt und umgenutzt, andere mussten jedoch weichen. So auch die Häusergruppe an der Turbinenstrasse, welche 1893 als Arbeitersiedlung von der Firma «Escher Wyss» gebaut worden war. Von den ursprünglich neun Wohnblöcken, stehen heute nur noch zwei. Geht es nach dem Kanton Zürich, werden diese im Zuge der Modernisierung ebenfalls abgerissen: Zur besseren Erschliessung des Maag-Areals will der Kanton die Turbinenstrasse neu ausrichten; die Liegenschaft steht da im Weg.
Kampf seit acht Jahren
Heute steht das alte Haus mit seinem blühenden Garten mitten im aufstrebenden Trendquartier umgeben vom Hotel «Renaissance» und dem «Mobimo Tower». Dieser Standort und die Weigerung einiger Bewohner, den Plänen des Kantons nachzugeben, hat dem Haus den Übernamen «Nagelhaus» eingebracht. Der Begriff stammt ursprünglich aus Asien und beschreibt Häuser, die einem Neubau weichen sollten, deren Besitzer den Auszug aber verweigern. Da die Bauarbeiten rund um die Häuser trotz allem beginnen, ragen die betreffenden Gebäude teils wie Nägel aus der Landschaft.
Willi Horber zog vor vierzig Jahren in das Quartier und wohnt seither im Haus an der Turbinenstrasse. «Damals war dieses Quartier noch eine richtige Räuberhöhle, es war abgelegen und es gab nicht einmal richtige Strassenbeleuchtungen», erzählt Horber. Dieses Quartier und vor allem die Liegenschaft an der Turbinenstrasse mit den Nummern 12 und 14 ist ihm ans Herz gewachsen. «Es ist zwar weniger grün als früher», meint Horber, «aber ich fühle mich hier verwurzelt und das ist mein Zuhause.» Darum kämpft er seit acht Jahren gegen den Abriss des alten Hauses. Bisher mit Erfolg: Vor drei gerichtlichen Instanzen hat der Kanton bereits verloren. Der letzte Entscheid wurde vom Bundesverwaltungsgericht am 1. Mai diesen Jahres gefällt. Demnach sollte der Kanton die Route der geplanten Strasse so ändern, dass die Liegenschaft nicht weichen muss.
Kanton sieht keine Alternative
Aus Sicht des Kantons bietet sich jedoch keine Alternative für das geplante Strassenprojekt. «Das Gebiet rund um die Turbinenstrasse wurde im kantonalen Richtplan als Zentrumsgebiet von kantonaler Bedeutung festgelegt, wodurch die Voraussetzungen für Sonderbauvorschriften nach kantonalem Recht gegeben sind», erklärt Anselm Schwyn von der Volkswirtschaftsdirektion des Kanton Zürichs. «Die Stadt Zürich hat daraufhin für das Gebiet die Sonderbauvorschriften Maag-Areal Plus festgelegt, diese wurden vom Kanton genehmigt. Damit wurden Baubereiche und Erschliessungswege definiert. Gegen diese Nutzungsplanung wurden keine Einsprache erhoben.» Dadurch ist laut Schwyn der Fortbestand des Hauses nicht in die Nutzungsplanung eingeflossen. Ausserdem sei die heutige provisorische Verkehrsführung unzureichend und müsse erneuert werden. «Das alte Gebäude, welches auch nicht unter Schutz steht oder als schützenswert gilt, verhindert dies nun.» Man habe zwar Verständnis für die Beschwerdeführenden, erklärt Schwyn, das öffentliche Interesse überwiege aber klar.
Vorübergehend bleibt die Trutzburg an der Turbinenstrasse also bestehen. Die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich hat aber entschieden, das Urteil anzufechten und den Fall vor Bundesgericht weiterzuziehen. Bewohner Willi Horber lässt sich davon nicht unterkriegen und meint: «Ich fühle mich noch rüstig genug, um auch vor Bundesgericht nochmals gegen den Abriss anzukämpfen.»