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«Ein gesellschaftliches Problem, das alle angeht». Gespräch über häusliche Gewalt mit Matthias Lüscher von der Aargauer Anlaufstelle für häusliche Gewalt
Aus Regionaljournal Aargau Solothurn vom 25.09.2018.
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Häusliche Gewalt im Aargau «Keine Privatsache, sondern ein gesellschaftliches Problem»

Fälle von häuslicher Gewalt nehmen im Kanton Aargau – wie in vielen anderen Schweizer Kantonen auch – Jahr für Jahr zu. Dieses Thema wurde kürzlich auch im Nationalrat diskutiert. Dieser hat ein neues Massnahmenpaket beschlossen, um Opfer besser zu schützen und Täter stärker zu kontrollieren.

Im Gespräch erklärt Matthias Lüscher, der stellvertretende Leiter der Anlaufstelle häusliche Gewalt des Kantons Aargau, warum der Anstieg der gemeldeten Fälle durchaus positiv ist und wie er im Alltag mit Fällen von häuslicher Gewalt umgeht.

Matthias Lüscher

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Matthias Lüscher ist seit sechs Jahren stellvertrenderer Leiter der Aargauer Anlaufstelle für häusliche Gewalt. Er führt in Zusammenarbeit mit Polizei, Justiz und Sozialbehörden Gespräche mit gewalttätigen Männern.

SRF News: Was läuft schief, dass es trotz vieler Massnahmen im Aargau immer mehr Fälle von häuslicher Gewalt gibt?

Matthias Lüscher: Ich denke nicht, dass man sagen kann, es laufe etwas schief. Eher ist es so, dass sich die Fälle von den dunklen Gebieten in die hellen Gebiete verlagern. Das heisst: Die Behörden haben mehr Kenntnisse über diese Fälle. Die Polizei erhält mehr Meldungen von häuslicher Gewalt. Dies ist mit ein Grund, dass die Fallzahlen steigen.

Ich werte dies aber als etwas Positives, da es nicht mehr ein Tabu-Thema ist und in der Gesellschaft darüber geredet wird. Dadurch können die Fälle auch strafrechtlich verfolgt werden.

Sie arbeiten täglich mit Fällen von häuslicher Gewalt. Welche Fälle begegnen Ihnen am meisten?

Was ich immer wieder erlebe im Gespräch mit gewaltausübenden Männern ist die Rückmeldung, dass häusliche Gewalt aufgrund einer Überforderung der ganzen Familie passiert. Oft sind Mehrfachbelastungen in der Familie drin – wie etwa Sucht oder psychische Erkrankungen oder Geldprobleme. Gerade Geldprobleme können grossen Druck auf die Männer ausüben. Diese sind dem Druck irgendwann nicht mehr gewachsen, daraus entsteht eine Art Explosion.

Das sind dann meistens: Tätlichkeiten, wiederholte Tätlichkeiten, leichte Körperverletzung. Was die Sache gefährlich und schwierig macht: Diese Taten wiederholen sich in der Regel innerhalb der Familie. Es geht darum, dass der Gewaltkreislauf unterbrochen werden kann.

Dafür muss eine gewaltausübende Person fast zwingend mit einer Fachperson zusammenarbeiten. Ich kenne nur wenige, welche es geschafft haben, ohne professionelle Hilfe die Gewaltspirale zu durchbrechen.

Wie thematisieren Sie dieses sehr persönliche Thema mit Ihren Klienten?

Ich habe die besten Erfahrungen damit gemacht, dass ich die Gewalttaten ganz direkt anspreche. Viele Männer erlebe ich nach dem ersten Gespräch als erleichtert. Endlich konnten sie mit jemandem darüber reden. Denn es ist ein Tabu-Thema, auch für gewaltausübende Menschen.

Es ist ja nicht so, dass das alles Psychopathen sind, die Lust dabei empfinden, jemandem Gewalt anzutun. Nach dem ersten Schock nach der Tat kommen sehr oft das schlechte Gewissen und die Scham hervor. Die Männer sehen vielleicht ihre Frau am Boden liegen mit einer Beule oder sie blutet aus der Lippe.

Es ist für viele Männer hilfreich über solche Bilder reden zu können. Ich zeige ihnen, dass ich es aushalte darüber zu reden. Meine Haltung ist eine grundsätzliche Akzeptanz des Menschen, aber ich verurteile die Handlungen auch klar.

Was empfehlen Sie zum Beispiel Verwandten oder Nachbarn, welche einen Fall von häuslicher Gewalt im Umfeld kennen oder vermuten?

Es kommt auf die Beziehung der Drittperson zu den Betroffenen an. Einer guten Freundin von einer betroffenen Frau empfehle ich, diese darauf anzusprechen, wenn man unter sich ist. Man soll versuchen ein persönliches Gespräch zu führen und zu sagen, dass man sich Sorgen macht. Dadurch bekommt man auch weitere Informationen darüber, was genau passiert.

Bei Nachbarn, die etwas aus der Wohnung mitbekommen – Geschrei, Weinen, Rumoren – empfehle ich, die Polizei zu rufen. Man soll nicht versuchen selbst einzugreifen. Polizisten sind für solche Fälle geschult.

Das Gespräch führte Stefan Brand

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