Beim Verteidigen der Oper gerät man schon ab und zu etwas in Argumentationsnotstand, kommt die Sprache auf die Libretti. Ja, zugegeben, die Liebesgeschichten, die torpediert werden von bösen Vätern oder eifersüchtigen Frauen, die sind manchmal schon etwas arg platt oder gesellschaftlich wenig relevant, von den Geschlechterstereotypen ganz zu schweigen.
1975 machte sich Luigi Nono daran, ein Gegenstück zur Oper zu schreiben. «Al gran sole carico d‘amore» spielt an keinem eindeutigen Ort, erzählt keine lineare Geschichte - und zentrale Figuren sind die Frauen. Heldinnen der Vergangenheit, die mit oder ohne Gewehr in der Hand für ein besseres Leben kämpften, auch wenn sie das eigene dabei lassen mussten.
Revolution und Schönheit - kein Widerspruch
Geschichte wird über Frauen erzählt! Wie zu einem grossen Bilderbogen fügt Nono poetische Texte, Arbeiterlieder, Gedichte und Manifeste zu einer Collage zusammen, verwebt die Aufstände von Paris mit dem Befreiungskampf in Bolivien, der Revolution in Russland und den Arbeiteraufständen in Italien. Wir springen also von Ort zu Ort, von Zeit zu Zeit, aber die Musik ist es, die das Ganze zusammenhält.
Schön ist die Musik, die Luigi Nono komponiert hat, voller Kontraste und Farben: sinnlich und betörend die Gesänge der Frauen, rhythmisch, stampfend, wenn das Orchester allein losfährt, spannend die historischen Klänge, die von Tonbandaufnahmen zugespielt werden. Und berührend die eingearbeiteten Ausschnitten aus Revolutions- und Arbeiterliedern, die wie Erinnerungsfetzen aufsteigen.
Eine Schweizer Erstaufführung
Keine zehn Inszenierungen hat es seit der Entstehung dieses Werkes, davon gegeben hat, weltweit. In der Schweiz noch gar keine. Warum? mag man sich fragen. Bedenken wegen des Revolutionsthemas? Angst vor einer «Antioper»? Kommerzielle Überlegungen wegen der unbekannten Klänge? Oder einfach weil der Orchestergraben zu klein ist?
In der Tat ist es so, dass der Klangapparat gewaltig ist, dass es grosse Chöre braucht für schwere Partien, dass die Solistinnen in stratosphärische Höhen hinaufklettern müssen, und dass eine Regie mit ein paar wirklich guten Ideen ans Werk gehen muss, damit man auch versteht, um was es hier geht. Denn unterhalten oder gar berieseln will Nono damit nicht. An Dringlichkeit, das nur nebenbei, hat dieses Werk nichts verloren.
Gut also, dass während der Ära Beck im Basler Theater kontinuierlich ein engagiertes, zeitgenössisches Musiktheater gepflegt wurde. Jetzt ist alles da: die kluge Regie, die grandiosen Chöre, das sinnlich und präzises Orchester, ja sogar das neugierige Publikum - und so konnte diese Saison eröffnet werden mit Nonos «Al gran sole carico d‘amore» - als Schweizer Erstaufführung. Nach 40 Jahren! Aber besser spät als nie.
(SRF1, Regionaljournal Basel, 17:30 Uhr)