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75 Jahre Klubschule «Duttweiler wollte den Leuten etwas fürs Gemüt bringen»

Eigentlich entstand die Migros Klubschule durch einen Zufall: Ein Italienischlehrer ohne Arbeit bat Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler um Hilfe. Dieser schaltete daraufhin testweise ein Inserat in der Wochenzeitung «Brückenbauer».

Kurse für fünf Franken monatlich

Im Frühling 1944 ist es soweit: Die Migros bietet für ihre Genossenschafter erstmals Sprachkurse an – «für die Nachkriegszeit von besonderer Aktualität». Für fünf Franken pro Monat können Wissbegierige Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch oder Russisch lernen.

Der Erfolg übertrifft alle Erwartungen – statt 200 gehen 1400 Anmeldungen ein. Erst läuft das Angebot unter der «Sprachschule Schmidt» in Zürich, ab 1948 trägt die Institution den Namen Klubschule. Parallel dazu wird das Angebot laufend ausgebaut: Kurse in Fechten, Malen, Schönheitspflege, Tanzen oder Pflanzenbetreuung kommen hinzu. Heute ist die Migros Klubschule die grösste Erwachsenenausbildnerin der Schweiz.

Duttweiler wollte den Leuten etwas fürs Gemüt bringen.
Autor: Karl Lüönd Biograf

Der Migros-Gründer liebte das Bibelwort «Der Mensch lebt nicht vom Brot allein», sagt Duttweiler-Biograf Karl Lüönd. «Mit den Kursen wollte er den Leuten etwas fürs Gemüt bringen.» Sein Ziel: Die Langeweile aus dem Leben verbannen. Selbst als erfolgreicher Geschäftsmann war es «Dutti» stets ein Anliegen, die Bedürfnisse der Menschen zu erfahren: Praktisch jeden Samstag habe er in seinen Läden verbracht und mit den Leuten gesprochen, so Lüönd.

Die politische Weltlage spielte eine wichtige Rolle im Gedankengut der Klubschule – deshalb der Spruch «Für die Nachkriegszeit von besonderer Aktualität». Duttweiler war es ein Anliegen, dass die Schweizer für die Nachkriegszeit vorbereitet waren. «Es droht der Friede», hat er einmal geschrieben. Er wollte, dass die Leute für Auslandskontakte trainieren, so Publizist Lüönd. Und dafür seien Sprachkenntnisse die fundamentale Voraussetzung.

Die Migros war das Kind der Duttweilers

Auch seine Frau Adele war massgeblich beteiligt an der Klubschule-Gründung: «Adele war die wichtigste Ratgeberin und hatte begütigenden Einfluss auf Duttweiler, der oft jähzornig war», sagt Karl Lüönd. Das Ehepaar hatte keine Kinder – «die Migros war ihr Kind», sagt der Biograf.

Andere Kursanbieter hatten nicht so viel publizistische Munition wie es Duttweiler mit seiner Migros hatte.
Autor: Karl Lüönd Biograf

Die Einschätzung von Erziehungswissenschaftler Michael Geiss

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«In der Zeit des Wiederaufbaus wollten die Menschen durch Klubschul-Kurse sicher ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Dazu ging es der Migros um eine sinnvolle und reichhaltige Freizeitgestaltung, die Förderung des ‹beglückenden Tuns›, wie es Duttweiler nannte. Den Erfolg der Migros Klubschulen macht sicher aus, dass ihre Angebote günstig waren, weil sie quersubventioniert wurden. Zudem war die Klubschule schon immer nah bei den Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten. Der gesellige Charakter stand immer im Fokus, daher auch das ‹Klub› im Wort Klubschule. Im 20. Jahrhundert stellte Weiterbildung keinen Zwang dar: Mit ihr liessen sich zahlreiche Probleme lösen. Erst in jüngerer Zeit wurde der Druck, sich weiterzubilden, immer mehr eine Belastung.»

Der Erfinder der Erwachsenenbildung ist Gottlieb Duttweiler aber nicht – der Berner Landfrauenverein beispielsweise bot schon früher Kurse an. Entscheidend war die Strahlkraft des Brückenbauers: «Andere hatten nicht so viel publizistische Munition, wie sie Duttweiler mit dem immer stärker werdenden Arm der Migros auf den Tisch bringen konnte», erklärt Karl Lüönd den Erfolg.

Das Angebot der Klubschule war einfach eine Einladung zur Erweiterung des Horizonts.
Autor: Karl Lüönd Biograf

Duttweiler wollte kein Lehrer-Schüler-Verhältnis

Mit der Institution Klubschule hat Duttweiler den möglichst schrankenfreien Zugang zu Bildungsgütern geschaffen, so Lüönd. Für den Migros-Mäzen war klar: Die Kurse sollen kein klassisches Lehrer-Schüler-Verhältnis sein. Alle sollen an einem Tisch sitzen und auf Augenhöhe sprechen. Auch der fehlende Zwang zu Leistungsprüfung war wichtig: In der Klubschule gibt es keine Abschlüsse oder Examen. Schlussendlich, so hält Lüönd fest, war die Klubschule «einfach eine Einladung zur Erweiterung des Horizonts».

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