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Mindestlohn-Initiative «Mindestlohn würde Kleinbetriebe zu mehr Innovation animieren»

Die Mindestlohn-Initiative war im Ständerat chancenlos. Grundlage der Debatte im Rat war ein Bericht, den die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Arbeit (WAK) hatte erstellen lassen. Der Bericht wirft allerdings Fragen auf. Der Soziologe Ueli Mäder nimmt Stellung.

Der Ständerat diskutierte am Dienstag die Mindestlohn-Initiative ausgiebig – und empfahl sie schliesslich dem Volk zur Ablehnung. Immer wieder kamen die Räte bei ihrer Debatte auf den Bericht zu sprechen, der vom Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung erstellt wurde. Er diente ihnen als Grundlage.

SRF News Online: Im Bericht werden verschiedene Zahlen aus den Jahren 2006 bis 2012 benützt. Hauptsächlich Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Wie wissenschaftlich ist das?

Ueli Mäder: Die Zahlen sind nicht mehr ganz neu. Die Autoren mussten wohl oder übel mit diesen Daten arbeiten, mangels Alternativen. Der Arbeitsmarkt wandelt sich aber im Moment rasant. Seit der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise vergrössert sich der Pool der Arbeitssuchenden. Auch, weil sich die EU erweitert. Problematisch ist zudem, dass das Bundesamt für Statistik die Grundlagen für die Berechnungen bei den Working Poor in den letzten Jahren immer wieder geändert hat. Das macht Vergleiche schwierig.

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Der Bericht war für die Debatte zentral
Aus News-Clip vom 25.09.2013.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 35 Sekunden.

Laut Bericht wurden rund 8,2 Prozent der Stellen im Jahr 2010 mit einem Stundenlohn von unter 22 Franken entlöhnt. Absolut waren dies fast 300'000 Voll- und Teilzeitstellen. Was sagen Sie dazu?

Mäder: In der Schweiz haben wir eine im Vergleich hohe Erwerbsquote. Das ist positiv. Wir haben aber gleichzeitig viele Erwerbstätige, die für wenig Geld arbeiten müssen, oft Teilzeit-Angestellte. Viele von ihnen würden gerne mehr arbeiten. Je tiefer die Haushaltseinkommen sind, desto höher muss die Erwerbsquote sein, damit Familien über die Runden kommen. Das bringt viel Stress mit sich. Weniger Geld verdienen übrigens auch immer mehr Mittelständige nach Stellenwechsel. Das war früher meistens umgekehrt.

Der Bericht erwähnt, dass Teilzeitbeschäftige besonders häufig von tiefen Löhnen betroffen sind. Oft sind es Frauen, die Teilzeit arbeiten …

Mäder: Die Frauen haben schon immer in der Geschichte als, pardon, Reserve-Armee herhalten müssen, als Puffer. Sie hatten und haben eine schlechte Lobby. Eigentlich ist es widersinnig, dass Teilzeit-Angestellte weniger verdienen, denn sie können von den Arbeitgebern bei gleichem Lohn oft flexibel eingesetzt werden. Und wer jeden Tag 50 Prozent erwerbstätig ist, hat für die Arbeitswege denselben Aufwand wie bei 100 Prozent.

Auch die Jungen werden im Bericht hervorgehoben. Unter 25-Jährige arbeiten am häufigsten für einen Stundenlohn unter 22 Franken. Sie verdienen laut Bericht später aber schnell mehr. Ist das heute noch so?

Mäder: Das stelle ich in Frage. Oft entwickeln sich die Saläre nicht mehr so steil nach oben wie früher. Je höher das Einstiegssalär, desto höher der Lohn nachher. Junge Leute sind heute besser qualifiziert als früher, müssen aber deutlich mehr tun, dass sie einen Job bekommen. Ich hatte früher vom Studium weg einen tollen Job, heute steigen die Jungen mit dem gleichen Profil mit einem Praktikum ein. Hinzu kommen die gestiegenen Lebenskosten: Wenn Junge dann einmal ausziehen, müssen sie oft hohe Mieten zahlen, weil sie einem hart umkämpften Wohnungsmarkt ausgesetzt sind. Junge Familien finden besonders häufig nur neue Wohnungen, die teurer sind.

Zur Person

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Ueli Mäder ist Professor für Soziologie an der Universität Basel und Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er forscht unter anderem im Bereich soziale Ungleichheit und ist Verfasser von Reichtums- und Armutsstudien.

Weiter wird im Bericht geschrieben, ein Mindestlohn würde Jugendlichen den Einstieg ins Berufsleben erschweren. Stimmen Sie dem zu?

Mäder: Die Differenz zwischen der heutigen Praxis und dem diskutierten Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde ist relativ gering und dürfte selten entscheidend sein. Auch mit einem Mindestlohn ist die Attraktivität, junge Menschen anzustellen, nach wie vor gross. Ein Arbeitgeber muss dafür nicht so viel in die Pensionskasse einzahlen wie bei einem älteren Arbeitnehmer. Ich sehe eher bei den letzteren ein Problem. Ältere Menschen haben heute Mühe, den Job zu wechseln.

«Unternehmen mit weniger als 5 Beschäftigten weisen mit knapp 18 Prozent den höchsten Anteil an Stellen mit Stundenlöhnen unter 22 Franken aus», so der Bericht. Könnten kleine Unternehmen wegen dem Mindestlohn in existenzielle Not kommen?

Mäder: Es stimmt, dass kleine Betriebe nicht die gleichen Löhne bezahlen können wie die grossen Konzerne. Sie weisen auch eine geringere Spannweite zwischen den oberen und den unteren Löhnen auf. Was ich aber öfters sehe, ist, dass die Leitenden kleiner Firmen in zu starren Mustern denken. Ein Mindestlohn würde sie zu mehr Innovation und Kooperation untereinander animieren. Es gibt Mitarbeiter-Modelle, die von kleinen Betrieben zu wenig berücksichtigt werden.

Ihre Prognose für den Schweizer Arbeitsmarkt und die Löhne?

Mäder: In den nächsten zwei bis drei Jahren wird sich die soziale Brisanz verschärfen, der Kampf um die Jobs wird grösser; auch mit den vielen Jugendlichen, die auf die europäischen Arbeitsmärkte drängen. Die oberen und unteren Löhne werden noch mehr auseinandergehen. Das neoliberale angelsächsische Verständnis ist in den letzten 20 Jahren stark gewachsen. Diese neue Gläubigkeit überlagert, gtrieben vom Finanzmarkt, den politischen Liberalismus, der die Arbeit mehr Wert schätzte. Früher hat man gesagt, mehr als im Verhältnis eins zu sechs sollte die Lohndifferenz in einem Betrieb nicht sein. Heute finden die Leute das nicht mehr. Die verschärfte Konkurrenz in einem globalen Umfeld dient als Legitimation, Löhne nach unten oder nach oben zu drücken, die Anforderungen an Stellensuchende zu erhöhen und die Abläufe weiter zu rationalisieren. Das erhöht soziale Spannungen. Und hoffentlich auch das soziale Engagement.

(Interview: Christa Gall)

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