Wer seinen dementen Partner umsorgt, die Eltern oder das beeinträchtigte Kind betreut, leistet unbezahlte Arbeit. Der Bund schätzt den Wert dieser Arbeit auf 3.7 Milliarden Franken, die jährlich das Gesundheitswesen und die öffentliche Hand entlasten.
Eine von ihnen ist Ursi Bertschi mit ihrer Familie bei Uster im Kanton Zürich. Sie betreut ihren ältesten Sohn Lorin, der mit Trisomie 21 zu Welt gekommen ist. Er ist wie ihre anderen Söhne volljährig. Lorin sei ein offener Mensch und könne sich dank gezielter Sprachübungen nun besser ausdrücken, erzählt sie. Sie verständigen sich vor allem mit Gesten und Apps mit Piktogrammen.
Ziel: möglichst grosse Selbständigkeit
Dass die Betreuung von Lorin eine 24-Stunden-Aufgabe sei und dies immer bleiben werde, sei ihr und ihrem Mann bewusst gewesen, sagt sie. Lorin sollte so selbständig wie möglich seinen Weg gehen können. Drei Monate begleiteten sie ihn beim Busfahren, beim Umsteigen auf die S-Bahn nach Altstetten und beim erneuten Umsteigen auf den Bus zu seine Arbeit in einem geschützten Umfeld, wo er über Mittag bleibt und am Abend wieder nach Hause kommt.
«Das kann Lorin jetzt selbständig», so Ursi Bertschi. Wenn allerdings der Zug oder der Bus nicht komme, sei der 25-Jährige auf fremde Hilfe angewiesen. «Für diesen Fall bin ich für ihn jederzeit auf dem Handy erreichbar, den Umgang damit hat er in der Schule gelernt.»
«Riesenmanko» ab Alter 18
Während der ersten Jahre sei sie gut vernetzt gewesen über Interessenverbände wie Insieme. Um Lorin zu fördern habe sie Therapien besucht, Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie. Doch als das Angebot im Alter von 18 Jahren weggefallen sei, sei sie erschrocken und fast in ein Loch gefallen, erinnert sich Ursi Bertschi: «Es ist ein Riesenmanko und fehlt wirklich.»
Hilfe bot dann der kantonale Entlastungsdienst. Seither stehen für Lorin einmal pro Woche Ausflüge und gezielte Sprach- und Sprechübungen auf dem Plan. Die Mutter konnte durchatmen und arbeitet nun wieder in einem kleinen Pensum. Finanziell wurden sie durch die Hilflosenentschädigung unterstützt und Lorin erhält nun eine IV-Rente.
IG für nationale Strategie bei Betreuung
Um Menschen wie Ursi Bertschi besser zu unterstützen, haben sich nun verschiedene Organisationen an einer Tagung in Bern vernetzt und einheitliche Regeln gefordert. «Damit nicht jeder Kanton sein eigenes Konzept erarbeiten muss, wäre eine nationale Strategie gut», betonte Adrian Wüthrich, der die Interessengemeinschaft der Angehörigenbetreuung präsidiert.
Das braucht es nicht. Da kämen Milliardenbeträge auf die Bevölkerung zu. Wir müssen die Prioritäten bei den pflegenden und nicht bei den betreuenden Angehörigen setzen.
Möglich, dass das Anliegen von SP und Teilen der Mitte-Fraktion unterstützt wird. Weiter rechts kommt die Idee nicht an. So beim Luzerner FPD-Ständerat Damian Müller, Präsident der zuständigen Parlamentskommission: «Das braucht es nicht. Da kämen Milliardenbeträge auf die Bevölkerung zu. Wir müssen die Prioritäten bei den pflegenden und nicht bei den betreuenden Angehörigen setzen.»
Der Bundesrat würdigt den Einsatz von betreuenden und pflegenden Angehörigen. Wegen der unterschiedlichen Ansprüche hält die Regierung eine Definition von betreuenden Angehörigen aber nicht für umsetzbar. Trotzdem macht das Bundesamt für Sozialversicherung zurzeit im Auftrag des Ständerats einen Bericht zur Lage betreuender Angehöriger und klärt ab, ob ein Gesetz oder eine Strategie sinnvoll wäre.
