Das Wichtigste in Kürze
- Die Bundesanwaltschaft hat fünf Jahre gegen einen ehemaligen Verteidigungsminister Algeriens ermittelt.
- Ihm wurde Verantwortlichkeit in Fällen von Folter und Mord in den 1990er-Jahren vorgeworfen.
- Jetzt stellt die Bundesanwaltschaft fest, dass aus formalen Gründen gar keine Anklage möglich sei.
- Die Opfer und eine NGO ziehen den Entscheid ans Bundesstrafgericht weiter.
«Schwarze Jahre» werden die 1990er-Jahre in Algerien genannt. Es sind die Jahre des Bürgerkriegs zwischen den Islamisten und dem Militär. Auslöser waren die Wahlen von Ende 1991, die die Islamisten an die Macht gebracht hätten – doch das akzepterierte die Regierung nicht. Es folgten Massenverhaftungen, ungesetzliche Hinrichtungen, Massaker an der Zivilbevölkerung. Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass damals bis zu 200'000 Menschen ermordet oder zum Verschwinden gebracht wurden.
Verhaftung in Genf
Einer der angeblich Hauptverantwortlichen auf Seiten der Armee wurde im Oktober 2011 bei einem Aufenthalt in Genf verhaftet: Khaled Nezzar, ehemaliger Generalstabschef der algerischen Armee und Verteidigungsminister. Vier algerische Opfer und die Schweizer Nichtregierungsorganisation Trial International hatten Strafanzeige gegen ihn eingereicht. Nach einer ersten Befragung durch die Bundesanwaltschaft (BA) wurde Nezzar einen Tag später auf freien Fuss gesetzt, unter der Auflage, sich kooperativ zu verhalten.
Doch Nezzar zeigte sich erst einmal gänzlich unkooperativ. Als ehemaliger Minister sei er vor einer Strafverfolgung geschützt, argumentierte er und reichte Beschwerde beim Bundesstrafgericht in Bellinzona ein. Das Aussendepartement in Bern stützte diese Haltung. Doch das Bundesstrafgericht und später auch das Bundesgericht sahen es anders. Der Weg für weitere Ermittlungen der BA war frei.
Keine Anklage – trotz «glaubwürdiger» Zeugen
Doch diese enden jetzt, vier Jahre später mit der Einstellung des Verfahrens. Das ist besonders bemerkenswert, weil der Algerienfall der erste wichtige Entscheid des Kompetenzzentrums Völkerstrafrecht ist, das die BA vor sechs Jahren eingerichtet hat. Erst seither kann sie Delikte wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen in der Schweiz überhaupt strafrechtlich verfolgen.
Fast ein Dutzend Zeugen hat die BA einvernommen, deren Aussagen «glaubwürdig» seien, heisst es in der Einstellungsverfügung. Auch der Beschuldigte konnte befragt werden, ein letztes Mal im vergangenen November. Dabei stritt Nezzar Folterungen kategorisch ab. Zudem sei nicht er, sondern die Innenministerin für die Gefängnisse zuständig gewesen.
BA: «Schwarze Jahre» waren kein Krieg
Doch einen Schlussstrich gezogen hat die BA aus rein formalen Gründen. In den 1990er-Jahren habe sie noch nicht die Kompetenz gehabt, gegen Völkerstrafrechtsverbrechen vorzugehen, hält sie fest. Eine Rückwirkung sei ausgeschlossen. Anwendbar sei deshalb das schweizerische Militärstrafgesetz, das damals gültig gewesen sei. Doch dieses setze einen bewaffneten Konflikt voraus, damit gegen Beschuldigte vorgegangen werden könne, argumentiert die BA. Und davon könne man bei den «schwarzen Jahren» in Algerien nicht sprechen.
Diese Argumentation sei eine Beleidigung für die gefolterten Opfer, schreibt die Organisation Trial International in einer ersten Stellungnahme. Damit werde ihnen noch einmal Gewalt angetan. Es sei unverständlich, dass die BA fünf Jahre gebraucht habe, um am Ende festzustellen, dass es in Algerien gar keinen bewaffneten Konflikt gegeben habe. Die Opfer und auch Trial International haben Beschwerde beim Bundesstrafgericht in Bellinzona gegen den Entscheid der BA eingereicht.
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