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Chancengleichheit am Gymnasium Luzerner Kanti coacht sozial benachteiligte Jugendliche

Matura trotz Migrationshintergrund: Das spezielle Förderprogramm eines Luzerner Gymnasiums hat die Pilotphase überstanden.

Es ist ein Fakt: Noch immer absolvieren Jugendliche aus Arbeiterfamilien viel seltener ein Studium als junge Erwachsene mit Akademikereltern. Das zeigen Zahlen des Bundes.

Auch die Nationalität spielt eine grosse Rolle: Nur rund ein Viertel der Ausländerinnen und Ausländer schafft die Reifeprüfung. Von den jungen Schweizerinnen und Schweizern sind es fast doppelt so viele. Dies legt ein Blick auf die Maturitätsquote offen.

Ein Stadtluzerner Gymnasium will hier Gegensteuer geben. Die Kantonsschule Reussbühl hat 2019 das Förderprogramm «Chance KSR» gestartet. Das Zielpublikum: begabte, sozial benachteiligte Jugendliche. Insbesondere solche mit Migrationshintergrund.

So kommen Jugendliche ins Förderprogramm

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Situationstafel der Kantonsschule Reussbühl
Legende: Die Luzerner Kantonsschule Reussbühl zählt rund 700 Lernende. SRF/Lea Schüpbach

Das Förderprogramm «Chance KSR» des Gymnasiums Reussbühl sucht im Kanton Luzern seinesgleichen. Für die Finanzierung ist das Gymi bislang auf private Geldgeberinnen und Geldgeber angewiesen. Langfristig soll der Kanton für die Kosten aufkommen.

Vom Förderprogramm haben bislang 70 Schülerinnen und Schüler profitiert. Um daran teilzunehmen, müssen sich Jugendliche bewerben. «Externe Schülerinnen und Schüler müssen ein Empfehlungsschreiben der Klassenlehrperson einreichen», sagt Annette Studer, Rektorin der Kantonsschule Reussbühl.

Zum Aufnahmeprozess gehören auch ein Motivationsschreiben sowie ein Aufnahmegespräch. «Wer bereits unsere Kanti besucht, muss selber die Initiative ergreifen.»

Ihnen stehen speziell ausgebildete Lehrpersonen als Coaches zur Seite. Sie helfen, in einzelnen Fächern die Noten aufzubessern, sich besser zu organisieren oder auch Prüfungsangst abzubauen. Schülerinnen und Schüler buchen das benötigte Angebot im Baukasten-Prinzip.

Vier Jahre dauerte die Versuchsphase. Nun, am Ende dieser Zeitspanne, steht fest: Dank der finanziellen Mittel einer Stiftung ist das Förderprogramm für vier weitere Jahre gesichert.

Migrationshintergrund wird zur Hürde

Dass ausgerechnet die Kanti Reussbühl ein solches Programm lanciert hat, kommt nicht von ungefähr. Weit über ein Drittel der Schülerinnen und Schüler des Langzeitgymnasiums hat einen Migrationshintergrund.

Viele unserer Schülerinnen und Schüler kommen aus bildungsfernen Familien, die sie auf ihrem Weg an der Kanti kaum unterstützen können.
Autor: Annette Studer Rektorin Kantonsschule Reussbühl

«Von den Jugendlichen im Kurzzeitgymnasium sind es sogar deutlich über 50 Prozent», so Rektorin Annette Studer. «Viele kommen aus bildungsfernen Familien, die sie auf ihrem Weg an der Kanti kaum unterstützen können.»

Teilnehmerin hat nun Matura im Sack

Eine Teilnehmerin der ersten Stunde ist Nastasja Cvetanovic. «Physik und Chemie waren nie meine Freunde», sagt die 18-Jährige. Auch Mathematik machte ihr Mühe. Also bewarb sie sich. Sie habe dafür nicht über ihren Schatten springen müssen. «Wenn ich merke, ich bin am Anschlag, hole ich mir Hilfe.»

Nastasja Cvetanovic erhielt Mathe-Nachhilfe, nahm Coaching-Lektionen. Wie teile ich mir den Stoff auf? Wie verhindere ich an der Prüfung ein Blackout? «Davon konnte ich im Hinblick auf die Matura profitieren.»

Während Nastasja Cvetanovic mittlerweile die Matura im Sack hat, ist der 19-jährige Azad Tawfiq noch auf dem Weg dorthin. In der Schweiz geboren, lebte er zwischenzeitlich fünf Jahre in seiner Heimat Kurdistan, einer Region im Nordirak.

Als er mit 14 in die Schweiz zurückkehrte, haperte es mit Deutsch. Also meldete er sich vor drei Jahren fürs Förderprogramm. «Ich besuchte Schreibtrainings und erhielt auch Hilfe bei der Grammatik.»

Gymi wertet Programm als Erfolg

Die Chancen, dass Azad Tawfiq seinen Traum eines Medizin-Studiums verwirklichen kann, stehen gut: Im Sommer 2021 schafften 94.1 Prozent der Teilnehmenden den Sprung ins nächste Schuljahr. Im Sommer 2022 hatten 88.9 Prozent der geförderten Jugendlichen ein genügendes Jahreszeugnis. Die Kanti Reussbühl wertet dies als grossen Erfolg.

Allerdings lässt das Gymi auch jene nicht ausser Acht, die anderswo besser aufgehoben sind. «Es kommt immer wieder vor, dass Schülerinnen und Schüler andere Interessen entwickeln», sagt Rektorin Annette Studer. «Es ist auch die Aufgabe unserer Coaches, einen Spurwechsel vorzubereiten.» Gerade, wenn Eltern mit ausländischen Wurzeln beispielsweise den Weg der Berufsbildung nicht kennen. «Wir wollen auch Alternativen aufzeigen.»

Zürcher Modell macht Schule

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Die Schulleitung und engagierte Lehrpersonen haben 2019 am Gymnasium Reussbühl in Luzern das Förderprogramm «Chance KSR» lanciert. Das vierjährige Pilotprojekt orientiert sich inhaltlich und ideell am Projekt Chagall, das seit 2008 am Gymnasium Unterstrass in Zürich durchgeführt wird.

«Chagall» steht für «Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn». Das Projekt fördert Jugendliche mit Migrationshintergrund, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Aufnahmeprüfung in ein Gymnasium, eine Fachmittelschule oder an eine Berufsmittelschule zu bestehen.

Kanti Reussbühl begleitet länger

Die Verantwortlichen von «Chagall» beraten das KSR-Projektteam bei der Umsetzung. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert von Fachleuten der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.

Was «Chance KSR» von anderen Förderprogrammen unterscheidet: Reussbühl begleitet die Teilnehmenden während des ganzen Gymnasiums bis zum erfolgreichen Maturaabschluss. Die meisten anderen Förderprogramme dienen hauptsächlich der Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium.

SRF1 Regionaljournal Zentralschweiz, 26.06.2023, 17:30 Uhr ; 

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