Am Trampelpfad entlang des Waldrandes im Westen der Stadt Bern ist nichts Auffälliges zu entdecken. Dennoch: Ein normaler Weg ist es nicht. «Es ist ein Coronaweg», sagt Bauer Stefan Gilgen, dem das Stück Land gehört. Ein Coronaweg? Genau.
Wegen der Pandemie zieht es viele Menschen in die Natur. Das merken auch Bauern wie Stefan Gilgen aus Oberwangen bei Bern. «Seit März sind viel mehr Leute in der Natur unterwegs. Dieser Weg ist seitdem entstanden».
Ein offizieller Weg ist es nicht. Er ist in keiner Karte verzeichnet, und dennoch wird er häufig begangen. Das Gras ist längst niedergetrampelt, nackte Erde zeugt von den vielen Tritten ruhesuchender Menschen.
Bauer Gilgen würde gerne regelmässig den Grasstreifen zwischen Ackerland und Wald mähen, um Futter für seine Kühe zu erhalten. «Das Gras wächst kaum mehr. Da viele Menschen nebeneinander gehen, wird der Weg immer breiter. Bald sind es schon zwei Meter», sagt Stefan Gilgen, der den Verlust an Kulturland beklagt – und finanzielle Einbussen verzeichnen muss. Das Futter müsse er nun sonst wo beziehen, sagt er.
Stefan Gilgen verweist auch auf den «moralischen Verlust», wie er es nennt. Ihn stört, dass die Leute ungefragt über sein Land spazieren und ein Weg – zu dem er keine Einwilligung gegeben hat – entstanden ist.
Beim Berner Bauernverband stellt man vermehrt solche Meldungen über neue «Coronawege» fest. Und auch beim Schweizer Bauernverband weiss man davon. «Insbesondere während des letzten Frühlings waren sehr viele Leute unterwegs», sagt Sprecherin Sandra Helfenstein.
Einige der Ausflügler wussten sich gemäss Sandra Helfenstein nicht zu benehmen. Nicht nur trampelten sie über frisch gesäte Felder, sondern hinterliessen auch Abfall. «Zum Teil wurde das ganze Picknick liegengelassen.» Viele Bauern meldeten sich beim Verband, um Schilder zu bestellen und die Leute auf korrektes Verhalten hinzuweisen.
Wann wird ein Weg «offiziell»?
Die neu entstandenen Wege, wie der auf dem Land des Berner Bauern Stefan Gilgen, sind noch nicht alt – werden aber wohl schon bald auf den offiziellen Landeskarten des Bundesamts für Landestopografie erscheinen.
Etwa alle drei Jahren machen Fachleute im Sommer und Winter Flugbilder einer bestimmten Gegend und erfassen Veränderungen in der Landschaft in einer Datenbank. Aufgrund dieser Datenbank werden die Karten angepasst. Trotzdem bleiben die betroffenen Bauern Eigentümer ihres Landes. «Aus rechtlicher Sicht handelt es sich um unbefugtes Betreten», sagt Adrian Mühlematter, geschäftsleitender Grundbuchverwalter des Kantons Bern.
Bauern könnten Spaziergänger darauf hinweisen, dass es sich nicht um einen offiziellen Weg handelt, auch mit einem Schild. Wenn ein Bauer aber nichts macht, handelt es sich um eine «stillschweigende Einwilligung», der Weg wird also ein Stück weit offiziell. Trotzdem ist dies nicht unumstösslich.
Ein Weg wird erst definitiv offiziell und somit für alle begehbar, wenn er im Grundbuch eingetragen wird, dafür braucht es ein ordentlich-rechtliches Verfahren; was aber recht aufwändig ist. Erst dann ist die Wegführung in Stein gemeisselt und das Begehen für alle erlaubt – was bei diesen neuen Coronawegen wohl nicht so rasch der Fall sein wird.
Ich begehe den Weg mittlerweile selber.
In Oberwangen bei Bern hat sich Bauer Stefan Gilgen ein Stück weit mit dem Weg auf seinem Land abgefunden. «Ich mag mich nicht mehr ärgern – und begehe ihn mittlerweile selber gerne.»