Die Bundesratsreise, ein unzeitgemässes Relikt aus dem Jahr 1957? Damit braucht man Adolf Ogi nicht zu kommen. 13 solcher Ausflüge hat der alt Bundesrat mitgemacht, zwei davon als Bundespräsident selber organisiert. Und das aus tiefster politischer Überzeugung.
«Die Bundesratsreise war mir etwas Heiliges», sagt Ogi am Telefon und fährt rechts ran. Wenn der Kandersteger über die «Schuelreisli» spricht, bleibt keine Zeit, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. «Man muss sich für einander Zeit nehmen», sagt er. Deshalb sei auch die Bundesratsreise «ein Geschenk» für die Arbeit der Landesregierung.
Das sind vertrauensbildende Tage. Das ist nicht einfach nur Larifari.
Im Jahr 2000, er hatte seine Kollegen in die Berge ob Kandersteg geführt, verordnete Ogi diesen kurzerhand eine Stunde Ruhe vom festgelegten Programmablauf. «Der Bundesrat regiert nicht, indem er sich Tag und Nacht in den Akten versenkt», sagt Ogi. «Er regiert, indem er auf dieser Reise den Menschen einer anderen politischen Ausrichtung besser verstehen lernt.»
Das gelinge am besten in der Natur. Und daraus entstünde letztlich die Bereitschaft für konkrete Kompromisse.
Gar für zwei der wichtigsten Tage für das Funktionieren und Zusammenarbeiten der konkordanten Regierung hält die Bundesratsreise deshalb der ehemalige Vizekanzler und Bundesratssprecher Oswald Sigg. «Diese zwei Tage kann sich der Bundesrat nicht nur leisten, er muss sie sich leisten.»
Bundesratssitzung auf dem «Schuelreisli»
«Schuelreisli» nennt zwar auch Adolf Ogi diese zwei Tage gerne. Despektierlich meint er es nie. Auch über das Atmosphärische hinaus seien sie «in keiner Art und Weise verlorene Zeit.»
«Gerade auf Wanderungen tauschen sich die Bundesräte immer wieder über politische Themen und aktuelle Geschäfte aus», erinnert sich Oswald Sigg. Und in der vernetzten Welt sei die Regierung heute auch während der Schulreise keineswegs vom politischen Tagesgeschehen abgemeldet.
Gelegentlich setzten sich die Bundesräte aufgrund aktueller politischer Ereignisse gar kurzfristig für eine Stunde zusammen. Und weil es in dieser Atmosphäre oft einfacher sei, zu einer Lösung zu kommen, werde auch schon mal eine festgefahrene Diskussion von der letzten Bundesratssitzung auf «unterwegs» verschoben.
Diese zwei Tage kann sich der Bundesrat nicht nur leisten, er muss sie sich leisten.
Oder der Bundespräsident nutzt als Organisator die Reise, um «ein politisches Zeichen zu setzen», wie Ogi sagt. Er selbst brach im Jahr 2000 mit der Tradition, lediglich den Heimatkanton des Bundespräsidenten zu besuchen. Die Landesregierung reiste auch in den Kanton Jura, dessen Beziehungen zu Bern sich in einer schwierigen Phase befanden.
Inszenierte «Begegnungen mit der Bevölkerung»
Ebenso zur Bundesratsreise gehören jeweils die Termine, die im offiziellen Programm gerne als «Begegnung mit der Bevölkerung» bezeichnet werden. Über sie spricht Adolf Ogi weit weniger enthusiastisch als über die politischen Möglichkeiten, die die Reise bietet.
«Diese Gespräche mit den Menschen sind sehr wichtig und auch möglich. Man muss sie möglich machen!», sagt er zwar auf Nachfrage. Aber man hört es heraus: Er, der es so gut kann mit den Menschen, vermag diesen inszenierten und zeitlich knapp bemessenen Treffen nicht sonderlich viel abzugewinnen.
Kein Wunder. Echte Begegnungen seien in diesem Rahmen gar nicht möglich, sagt Oswald Sigg aus Erfahrung. Sie gehörten halt mittlerweile dazu und der kurze Smalltalk möge seinen spezifischen Wert haben, meint der Kommunikator Oswald Sigg. «Aber es muss während des ganzen Jahres andere Gelegenheiten für einen Austausch geben. Und das ist ja auch der Fall. Bei Parteiveranstaltungen oder in Abstimmungskämpfen.»
Denkwürdige Momente aus knapp 70 Jahren «Bundesratsreisli»
-
Bild 1 von 19. In all den Jahren der Bundesratsreisen – die erste fand 1957 statt – sind zahlreiche denkwürdige Momente fotografisch festgehalten worden. Zum Beispiel Hans-Peter Tschudi (SP) als lässiger Hürdenspringer 1970 auf dem Kronberg. Als einziger des Gremiums geht er ab durch die Mitte. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 2 von 19. Oder Bundespräsident Fritz Honegger (FDP) als Lokführer. Per Zug zeigte er 1982 seinen Kollegen das Verkehrshaus in Luzern. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 3 von 19. Begegnungen mit der Bevölkerung sind regelmässiger Programmpunkt. 1993 tanzten Otto Stich, Ruth Dreifuss und Jean-Pascal Delamuraz an der Schangnauer Chilbi. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 4 von 19. «Die majestätischen Berge, die vor uns da waren und nach uns da sein werden, relativieren unser Dasein»: Bundespräsident Adolf Ogi verordnete seinen Kolleginnen und Kollegen im Jahr 2000 im Gebirge ob Kandersteg kurzerhand eine Stunde Ruhe. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 5 von 19. 2004 wagten sich die Regierungsmitglieder ins kühle Nass. Sie überquerten die Saane bei Fribourg zu Fuss. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 6 von 19. 2005 stand dann eine schöne Trottinettfahrt mit Schweizerfähnli und Velohelm auf dem Programm. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 7 von 19. Auf der Rodelbahn im appenzellischen Jakobsbad gab Moritz Leuenberger (SP) 2009 die Coolness in Person. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 8 von 19. Eine künstlerische Ader bewiesen die Bundesräte im Sommer 2010, als sie in Aarau ein Bild malten. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 9 von 19. Ein Jahr später schien sich bei einem Besuch im CERN bei Genf die Begeisterung bei den Bundesrätinnen und Bundesräten in Grenzen zu halten. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 10 von 19. Eher martialisch dann der Auftritt 2013, als sich Doris Leuthard (CVP) in Hinwil in einen Schützenpanzer setzte. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 11 von 19. Etwas sportlicher war der Formel-1-Bolide, in den sich Eveline Widmer-Schlumpf ebenfalls 2013 in Hinwil beim Rennstall Sauber setzte. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 12 von 19. Der Bundesrat ist im Social-Media-Zeitalter angekommen: «Et voilà le selfie du Conseil fédéral», twitterte Alain Berset (SP) 2014. Bildquelle: Twitter Alain Berset.
-
Bild 13 von 19. Die Regierungsmitglieder fassen ihr Essen beim Besuch der Asylunterkunft Riggisberg während der Bundesratsreise 2015. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 14 von 19. Irgendwie scheint es Doris Leuthard mit den Fahrzeugen zu haben. Im Jahre 2016 liess sie sich in St. Imier in einen E-Rennwagen hieven. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 15 von 19. Die singenden Primarschüler im freiburgischen Bulle begrüssten Bundespräsident Alain Berset (SP) im Jahre 2018 mit einem «high five». Bildquelle: Twitter / André Simonazzi.
-
Bild 16 von 19. 2019 kam es in Stans NW zu Misstönen. Angestellte der Pilatus Flugzeugwerke protestierten mit Plakaten während des Grusswortes von Bundespräsident Ueli Maurer an die Bevölkerung. Der Vorwurf: das Verbot des EDA von Serviceleistungen durch Pilatus in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zerstöre Arbeitsplätze. Bildquelle: Keystone.
-
Bild 17 von 19. Auf der Bundesratsreise 2020 hat es Alain Berset (SP) bei der Abegg Stiftung in Riggisberg ein Hydrant angetan. Bildquelle: Keystone/Peter Klaunzer.
-
Bild 18 von 19. Zeichen der Zeit: Guy Parmelin (SVP) mit Corona-Schutzmaske dirigiert eine Fanfare während eines Apéros mit der Bevölkerung von Le Chenit im Kanton Waadt im Rahmen der Bundesratsreise 2021. Bildquelle: Keystone/Laurent Gillieron.
-
Bild 19 von 19. Der Heimatkanton von Karin Keller-Keller-Sutter begrüsste in diesem Jahr die Bundesrätinnen und Bundesräte in Rapperswil Jona mit einer besonderen Konstruktion. Bildquelle: Keystone/Gian Ehrenzeller.