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Schweiz «Der Genfer ist ein wenig rebellisch»

Seit 200 Jahren gehört Genf offiziell zur Schweiz. Doch wie ticken die Bewohner am Lac Léman? Anlässlich der Jubiläumsfeier vom Wochenende haben wir bei SRF-Korrespondentin Alexandra Gubser nachgefragt.

Video
Genf feiert seinen Beitritt zur Eidgenossenschaft
Aus Tagesschau vom 31.05.2014.
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SRF News Online: Sind Genfer Patrioten?

Alexandra Gubser: Natürlich sind die Genfer Patrioten. Die Stadt ist immer beflaggt, und neben jeder Genfer Fahne flattert auch das Schweizer Kreuz. Genf ist meines Wissens übrigens der einzige Kanton der Schweiz, der den Beitritt zur Eidgenossenschaft jedes Jahr feiert. Auf Genf als Wiege der Menschenrechte, als Schauplatz der Weltpolitik, als Banken- und Uhren-Hochburg, sind die Genfer sehr stolz.

Am Wochenende soll gefeiert werden. Ist die Stadt in Partylaune?

Es geht so. Im Vorfeld wurde recht wenig Werbung für das «Bicentenaire» gemacht. Die Plakate sind so modern gestaltet, dass nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, worum es überhaupt geht. Auch an den Schulen waren die 200-Jahr-Feier und deren Hintergründe kaum Thema und so fehlt die Mobilisierung der Eltern durch ihre Kinder. Nichtsdestotrotz wird die nächsten drei Tage ein buntes Programm an Veranstaltungen geboten. Der Höhepunkt ist der Umzug mit über 1300 Figuranten in historischen Kostümen am Samstagnachmittag.

Nennen Sie drei typische Charaktereigenschaften des Genfers.

Der Genfer ist ein wenig rebellisch, «contestateur», aus Prinzip. Das hat durchaus historische Gründe. Genf war einst eine Republik und auch heute noch lautet der offizielle Titel des Stadt-Kantons «République et Canton de Genève». Der Genfer ist aber auch Kosmopolit – kein Wunder bei einem Ausländeranteil von 43 Prozent. Und manchmal ist er ein «râleur», Genfer schimpfen gern…

Wie ist das Verhältnis zur Restschweiz, zu Bundesbern?

200 Jahre Kanton Genf

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2014 und 2015 feiern die Genfer das 200-Jahr-Jubiläum ihres Beitritts zur Eidgenossenschaft. An diesem Wochenende mit einer dreitägigen Party am See. Vorgesehen sind 200 Darbietungen: Schiffsparaden, Konzerte der Heilsarmee oder ein historischer Umzug. Das Spektakel kostet insgesamt 4,5 Millionen Franken, die Hälfte davon bezahlt der Steuerzahler.

Genf sieht sich schon als Sonderfall, als «cité à part», mit einem speziellen Status – der in der Deutschschweiz und in Bundesbern nicht immer entsprechend gewürdigt wird. Bei Abstimmungen zeigt sich jeweils deutlich die rebellische Seite der Genfer. Genf verteidigt gegenüber Bern seine Ideen mit Verve, akzeptiert dann aber auch, von der Mehrheit überstimmt zu werden.

Wie wird am Lac Léman der Sieg des Front National bei den Europawahlen in Frankreich aufgenommen? Bröckelt die Liebe zum Nachbarn?

Nein, denn sie verstehen, warum es in Frankreich so weit gekommen ist, warum die Franzosen die Nase voll haben von den zwei grossen Parteien UMP und PS, die keinen Bezug mehr zu den kleinen Bürgern haben. Dazu wird ein Erfolg des FN bei den Europawahlen nicht als Katastrophe angesehen. Das sähe anders aus, würde der FN bei französischen Präsidentschaftswahlen so gut abschneiden.

Deutschschweizer kennen Genf vom Autosalon, und vielleicht haben sie schon mal ein Foto vom Jet d’eau gesehen. Welches Bild haben die Genfer von Zürich oder von St. Gallen?

Die Genfer kennen die Hauptstadt Bern und Zürich und fahren vielleicht auch mal ins Tessin, aber um nach St. Gallen zu gehen, bräuchten sie einen Grund. So kommt den meisten Genfern bloss die «saucisse» in den Sinn, die St. Galler Bratwurst. Anders Zürich, diese Stadt wird als «grosse Schwester» respektiert, als Wirtschaftsmetropole und Banken-Hauptstadt, wenn auch Genf bei den Privatbanken und im Rohstoffhandel den Ton angibt.

Audio
«Der Beitritt zur Schweiz war das kleinere Übel»
aus Echo der Zeit vom 31.05.2014. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 41 Sekunden.

Genf ist Sitz zahlreicher internationaler Institutionen wie der Uno oder des Roten Kreuzes. Macht das die Bewohner offener für die Welt?

Keineswegs. Genf ist plurinational und multikulturell. Spaziert man durch die Stadt, hört man auf 100 m 10 verschiedene Sprachen. Ausserhalb Genfs wird jeder Genfer gleich zum Botschafter seiner Stadt und des internationalen Genfs.

Auf wen ist man in Genf mehr stolz, auf Bankenkritiker Jean Ziegler oder auf Louis Favre, der den Gotthard gebaut hat?

Das kommt ziemlich auf die Situation an. Ziegler wird als «trublion» geachtet, aber manchmal auch belächelt. Und Favres gibt es hier wie Sand am Meer, Louis gehört sozusagen zur Familie. Stolz sind die Genfer eher auf General Guillaume-Henri Dufour, dessen Reiterstandbild auf der Place de Neuve steht. Ihm verdankt die Schweiz die ersten detaillierten Landeskarten und er war als Freund von Henri Dunant Mitbegründer des Roten Kreuzes. Und stolz ist man auch auf die Mère Royaume, die Genf einst vor den Savoyern gerettet hat, die Genf erobern wollten.

Vor ein paar Jahren hatte Genf massive Probleme mit Kriminalität, was beschäftigt die Genfer heute am meisten?

Zur Person

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Legende: SRF

Alexandra Gubser berichtet für SRF seit Oktober 2011 aus der Westschweiz. Zuvor war Gubser als Redaktorin, Reporterin und Produzentin für die «Tagesschau» tätig.

Die Kriminalitätsrate ist zwar gesunken, das stimmt, doch wegen der vielen Taschendiebe, den Dealern, der bettelnden Roma ist den Genfern ein globales Gefühl der «insécurité», der Unsicherheit geblieben.

Zum Schluss: Wo ist für Sie Genf am Schönsten?

Einer meiner Lieblingsplätze ist die Place Bourg-de-Four in der Altstadt. Hier sitzt man sogar im Winter draussen auf den Terrassen der malerischen Bistros und lässt sich die Sonne auf die Nase scheinen. Mittags trifft sich jeweils ein bunter Mix an Magistraten, Bankern und Touristen zum Lunch, es gibt immer etwas zu beobachten.

Und dann ist da natürlich das Bain de Pâquis, die Badeanstalt im Seebecken. Die Aussicht auf den Jet d’Eau ist unvergleichlich, es ist DER Platz für Sonnenanbeter. Vor 25 Jahren wollte die Stadt das Bad tatsächlich abreissen. Da stiegen die Genfer auf die Barrikaden und heute wird das Bain de Pâquis von einer Vereinigung privat geführt. Dazu ist der Eintritt mit 2 Franken eine angenehme Überraschung.

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