Im Sommer 1968 tobt der Bürgerkrieg in Nigeria bereits seit einem Jahr. Der ölreiche Osten des afrikanischen Landes, der sich nach einer alten regionalen Bezeichnung wieder Biafra nennt, kämpft für seine Unabhängigkeit.
Die Bundesarmee will den Widerstand der bevölkerungsreichen Region mit einer Hungerblockade brechen. Verstörende Bilder von bis aufs Skelett abgemagerten Kindern mit gewaltigen Blähbäuchen schockieren weltweit und lösen eine Welle aus Mitgefühl und Solidarität aus – auch in der Schweiz.
Medien machen dann publik, dass die nigerianische Armee auch über Schweizer Waffen verfügt. Waffen, die von der Zürcher Firma Oerlikon-Bührle unter Umgehung des geltenden Waffenembargos illegal nach Nigeria geliefert worden seien. Wirklich überraschend kommt dies für die Bundesbehörden kaum. Denn der Schweizer Botschafter in Nigeria, Fritz Real, berichtete schon lange von Hinweisen auf illegale Waffenlieferungen durch Oerlikon-Bührle.
Departement hält sich zunächst zurück
Doch seine Adressaten im Politischen Departement, dem Vorläufer des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten, stehen auf dem Standpunkt, dass Bührle & Co. – zumindest vorläufig – noch kein konkreter Verstoss gegen die Ausfuhrbestimmungen nachzuweisen sei.
Am 12. Juni 1968 schickt der erfahrene Diplomat einen Brief nach Bern, der es in sich hat. Er habe aus sicherer Quelle Informationen, die eindeutig auf einen krassen Verstoss der Firma gegen die Ausfuhrbestimmungen hindeuten:
Mein Gewährsmann erfuhr von seinem Verbindungsmann im Ministerium, dass die nigerianische Armee zurzeit gegen die 100 Oerlikon-Flugabwehr-Geschütze besitze. Diese seien aus Zürich auf dem Luftweg nach Nigeria spediert worden. Auf die Frage, wie es möglich sei, die Geschütze und die Munition aus der Schweiz auszuführen, habe ihm sein Verbindungsmann erklärt, das Ganze sei eben ein geschicktes Spiel mit Dokumenten.
Den Brief hat Dodis , die Forschungsstelle für diplomatische Dokumente, jetzt ins Internet gestellt. Der Botschafter fordert in diesem eine gründliche Untersuchung. Die Behörden in Bern kommen in der Folge zunehmend unter Druck. Dass Hilfslieferungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz für die Menschen in Biafra mit Schweizer Kanonen beschossen werden könnten, sorgt in der Schweizer Bevölkerung für besondere Empörung.
Erst Mitte Oktober 1968 beauftragt der Bundesrat die Bundesanwaltschaft mit Ermittlungen. Eine Aktennotiz hält explizit fest, dass laut Angaben der Schweizer Botschaft der begründete Verdacht besteht, Bührle liefere Waffen mit gefälschten Ausfuhrerklärungen über Umwege in das Krisengebiet. Bundesstaatsanwalt Hans Walder schreibt seinerseits eine Aktennotiz:
Es ist schon vor den einzuleitenden Ermittlungen nicht zweifelhaft, dass gewisse Verantwortliche der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, Bührle & Co. den Straftatbestand der vorsätzlichen Falschangabe für die Bewilligungsabteilung zur Ausfuhr von Kriegsmaterial objektiv erfüllt haben. Presse und Öffentlichkeit sind über das gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren vorläufig nicht zu orientieren.
Kurz vor Weihnachten informiert dann der damalige Bundespräsident Willy Spühler im Namen der Landesregierung im Nationalrat die Öffentlichkeit. Er räumt ein, dass die Schweizer Behörden schon länger über die Bemühungen der nigerianischen Regierung orientiert waren, sich Schweizer Waffen zu beschaffen. Doch die Gerüchte seien kaum zu verifizieren gewesen.
Weitere heikle Länder wurden beliefert
Die bisherigen Ermittlungsergebnisse bestätigten, dass Bührle mit gefälschten Papieren Waffen illegal an kriegführende oder konfliktbedrohte Länder liefere, sagt Spühler. Das Zürcher Unternehmen versorgt demnach nicht nur Nigeria mit Flugabwehrgeschützen, sondern mitunter auch Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Libanon und vor allem Südafrika. Es ist der bislang grösste Waffenexport-Skandal in der Schweizer Geschichte, der jetzt aufgedeckt wird.
Spühler äussert in der Tagesschau vom 19. Dezember 1968 sein Bedauern:
Auch wenn die Behörden, das ganze Schweizer Volk, dies aufs Tiefste beklagen, so kann der Schaden, den der Ruf unseres Landes dadurch erlitten hat, auch durch eine strenge Ahndung nicht leicht wieder gut gemacht werden. Der Bundesrat bedauert dies.
In seiner Stellungnahme kündigt Spühler an, dass das Problem der Waffenausfuhr in Hinblick auf wirtschaftliche, militärische und neutralitätspolitische Aspekte überprüft werden soll.
In der entsprechenden Kommission, die über eine Verschärfung des Waffenrechts diskutiert, sitzt auch der SP-Nationalrat und spätere Parteipräsident Helmut Hubacher. Er sagt im Schweizer Fernsehen:
Die Front verlief zwischen rechts und links, zwischen den Bürgerlichen und der SP. Wir hatten immer einen Flügel von Pazifisten, der nicht nur die Ausfuhr von Waffen verbieten, sondern überhaupt jede Waffenproduktion abstellen wollte. Und von den Bürgerlichen kam das Argument der Arbeitsplätze.
Unternehmenschef Dieter Bührle wird 1970 vom Bundesstrafgericht zu acht Monaten Haft bedingt und einer Geldstrafe von 20'000 Franken verurteilt.
Drei leitende Bührle-Angestellte erhalten unbedingte Haftstrafen zwischen 15 und 18 Monaten. Kurz vor dem Prozess gegen die Firmenspitze wird im Bundeshaus eine Initiative für ein Verbot der Waffenausfuhr eingereicht.
Sie scheiterte 1972 an der Urne, aber nur ganz knapp mit 49,7 Prozent Ja-Stimmen. Dieter Bührle wird 1990 als Firmenchef entmachtet. Wenige Tage später ist er Gast in der Samstagsrundschau von Radio DRS. Er sagt:
Ich betrachte das Militärgeschäft wie jedes andere Geschäft. Jedenfalls ist das Waffengeschäft für mich nicht unethischer als der Verkauf von irgendwelchen Gebrauchsgütern an Regierungen für die Zwecke der Armee. Ich fühle mich sicher nicht als Waffenschieber, sondern – mit gewissem Stolz – als Chef einer Firma, die sehr gute Rüstungsgüter herstellt.