Intersexuelle nennen Mediziner Menschen, die weder genetisch (aufgrund der Geschlechtschromosomen) noch anatomisch (aufgrund von Geschlechtsorganen) noch hormonell (aufgrund des Mengenverhältnisses der Geschlechtshormone) eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden können.
Bis heute wird das «Problem» in den meisten Fällen operativ gelöst. Den Betroffenen wird dann kurz nach Geburt ein Geschlecht buchstäblich auf den Leib geschnitten.
Präzedenzfall in Frankreich
Wegen eines Rechtfalls im französischen Tours haben die Anliegen der Intersexuellen nun ein verstärktes Echo erfahren. Ein Gericht hat dort einem 64-jährigen intersexuellen Menschen erlaubt, sein Geschlecht in der Geburtsurkunde von «männlich» in «neutral» zu ändern.
Blickt man auf das Nachbarland Deutschland, scheint das französische Urteil einen allgemeinen Zeitgeist zu treffen. So orientiert man sich in der Bundesrepublik an einer Leitlinie des Deutschen Ethikrats, die das Personenstandsregister betrifft. Sie empfiehlt, «dass bei Personen, deren Geschlecht nicht eindeutig feststellbar ist, neben der Eintragung als ‹weiblich› oder ‹männlich› auch ‹anderes› gewählt werden kann.»
Es bestehen feine Abstufungen zwischen Begrifflichkeiten wie ‹anders› und ‹neutral›. Doch insgesamt stellt sich der Eindruck ein, dass in zwei europäischen Staaten die Bipolarität des Geschlechts aufgeweicht, respektive um eine dritte Kategorie erweitert wird. Mit anderen Worten: Die Idee eines dritten Geschlechts hält Einzug.
Schweiz: offen, aber (noch) zurückhaltend
Die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) hat zum Thema Intersexualität ebenfalls eine Stellungnahme veröffentlicht. Zwar kommt sie zum Schluss, «dass zum jetzigen Zeitpunkt die Zweigeschlechtlichkeit beibehalten werden sollte». Dies unter anderem deshalb, weil Betroffene «oftmals den Wunsch hegten, als Mann oder Frau ihren Platz in der Gesellschaft zu finden».
Doch die «Einführung einer dritte(n) Kategorie» sieht sie immerhin als diskutierbare «Variante» an.
Höhere Hemmschwelle
Dass es in der Schweiz de iure noch kein drittes Geschlecht gibt, hat laut Kathrin Zehnder, Soziologin und Genderforscherin an der Universität Zürich, verschiedene Gründe.
Vorderhand gebe es noch keinen Präzedenfall wie in Frankreich, bei dem jemand geklagt hätte. Abgesehen davon sei die Schweiz in solchen Fragen durch ihre Dimensionen geprägt: «In einem kleinen Land, in dem man sich weitgehend kennt, ist die Hemmschwelle für Rechtsschritte vermutlich höher.»
Es geht um sehr intime Details. Die Betroffenen müssen etwa vor Gericht erläutern, wie ihre Geschlechtsteile aussehen.
Ein «progressiver» Bericht der Schweizer Ethikkommission
Eine Einführung eines dritten Geschlechts hält Zehnder in der Schweiz aber prinzipiell für möglich: «Es ist doch interessant. Der Personenstand ist vom Schweizer Gesetz vorgesehen. Aber das Gesetz definiert nicht, was Geschlecht bedeutet.»
Den Bericht der Nationalen Ethikkommission schätzt sie denn auch als «progressiv» ein. Wenn dieser etwa fordere, dass man «Leid anerkenne», schiesse er relativ scharf gegen die Medizin. Sie präzisiert: «Er führt der Medizin vor Augen, dass sie etwas falsch gemacht hat.»
Dass Frankreich, Deutschland und die Schweiz ein drittes Geschlecht nicht kategorisch ablehnen, könnte man als Erfolg für die Betroffenen werten. Doch ist das Resultat wirklich in ihrem Sinn?
Umstrittene Idee
Laut Zehnder ist die Einführung eines dritten Geschlechts unter den Betroffenen umstritten. «Die einen sagen, es brauche diesen Zwischenschritt. Denn eine unmittelbare Abschaffung des Geschlechts sei utopisch.
Andere geben zu bedenken, dass ein drittes Geschlecht ein neues Label sei, das schlimmstenfalls zu neuen Diskriminierungen führe. Wer entscheidet denn, wer welchem der drei Geschlechter zugehört?»
Zum Beispiel Pakistan
Laut Soziologin und Genderforscherin Zehnder ist es schwierig zu erwägen, welche Staaten offen und welche eher verschlossener sind gegenüber der Idee eines dritten Geschlechts. Zu viele Faktoren spielten in eine solche Erwägung hinein. Beispielsweise könne im Einzelfall das religiöse System ausschlaggebend sein und Möglichkeiten eröffnen, die man nicht erwarten würde. «Im muslimischen Pakistan kennt man das dritte Geschlecht der Hijras, das transsexuelle, aber auch intersexuelle Menschen in sich vereint. Es gibt dieses dritte Geschlecht, weil das Kastensystem entsprechenden Spielraum offen lässt.» |
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