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Emil wird 85 «Ich habe oft geweint, wenn ich zur Bühne ging»

Emil Steinberger – er ist der wohl bekannteste Kabarettist der Schweiz. Er gilt als Institution, als lebende Humorlegende. Am 6. Januar 2018 wird Emil 85 Jahre alt.

SRF News: Wie hat sich das Publikum in all den Jahren verändert?

Emil Steinberger: Bei mir überhaupt nicht, habe ich das Gefühl. Im Gegenteil: Mein Publikum spricht meine Texte synchron mit mir auf der Bühne. Altersmässig hat sich etwas verändert, es hat sehr viele graue Köpfe im Saal. Aber – und das möchte ich betonen – es hat auch viele Junge. Es überrascht mich, dass sie den Zugang zu meiner Art von Komik und Humor finden. Sie lachen an Stellen, wo wir Erwachsenen überhaupt nicht lachen.

Sie waren schon immer sehr spontan auf der Bühne. Ist das heute noch möglich?

Improvisieren meinen Sie? Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe das nur ein Jahr lang gemacht.

Konnte sich das Publikum etwas wünschen? Oder wie muss man sich das vorstellen?

Das Publikum konnte Vorschläge machen, was ich spielen soll. Ich habe bemerkt, dass es eine Szene aus dem Alltag sein soll. Jemand hat mal gerufen, ich soll einen Tankstellenwart spielen. Ein anderer hat hinzugefügt, einer ohne Benzin. ‹Jetzt wird’s schon kompliziert›, habe ich gedacht. Dann habe ich die Nummer gespielt und prompt kam die Kritik in der NZZ: ‹Man komme nicht darum herum zu sagen, dass das vorbereitet war. Solche Nummern kann man nicht direkt aus dem Ärmel schütteln.› Das hat mich schon etwas traurig gemacht, weil es wirklich nie eine Vorbereitung oder ein Vorgespräch mit den Zuschauern gab.

Sie kommen aus einem katholischen Umfeld. Ihre Eltern waren nicht wirklich begeistert, dass Sie Komiker werden wollten. Haben Sie darunter gelitten?

Es gab schon ganz traurige Tage oder Wochen oder Monate. Es gab eine Phase zwischen 22 und 30, in der es schon hart war für mich. Meine Eltern hatten überhaupt kein Sensorium dafür, dass ich auf der Bühne spiele. Kabarett machen sei etwas Verwerfliches. Als ich nach neun Jahren den Beruf des Postbeamten an den Nagel hing, war das ein Schock für sie. ‹Du willst an die Grafiker-Schule? Zu den Leuten mit den langen Haaren und den Bärten? Aber nicht mit uns, dann kannst du ausziehen, sofort.› Es war hart. Nachdem ich eine Freundin kennengelernt hatte, die protestantisch war, hat meine Familie nicht mehr mit mir geredet. Ich habe oft geweint, wenn ich zur Bühne ging. Es war einfach unverständlich und ich wollte ja nur Gutes tun und etwas Fröhliches beitragen.

Wer aus Ihrem Umfeld hat Sie denn motiviert?

Niemand. In der Schweiz hast du keine Unterstützung. Franz Hohler war eigentlich der einzige, der mal gesagt hat: ‹Wenn du Hilfe brauchst, dann ruf mich an, ich komme vorbei.› Ich habe alles aus meinem Bauch heraus entschieden. Ich habe meistens niemandem etwas von meinen Plänen erzählt, weil alle sowieso immer sagten, ‹das kannst du doch nicht machen›.

Steht Emil für den typisch schweizerischen Humor?

Da stellt sich die Frage, was ist Schweizer Humor? Wenn ich Bilanz ziehe, dann ist der eher spärlich vorhanden. Ein Japaner, der mit einer ganzen Reisegruppe in die Schweiz kam, hat mir mal erzählt, dass er sich so sehr gefreut hatte, ins reichste Land zu reisen. Alles sei sauber, die Leute anständig – es sei ein Paradies. Doch als er hier ankam, war er enttäuscht, weil alle Menschen auf der Strasse ein trauriges Gesicht machten. ‹Die sind ja gar nicht fröhlich. Sie hätten allen Grund dazu, fröhlich zu sein, aber die Schweizer sind es nicht.›

Emil und seine Frau Niccel Steinberger.
Legende: Emil und seine Frau Niccel Steinberger. Keystone

In Deutschland schlugen Sie ein wie eine Bombe. Haben die Deutschen wegen anderen Dingen gelacht? Zum Beispiel wie Sie Hochdeutsch sprechen?

Klar lachen die Deutschen, die hören das Schweizer Hochdeutsch gerne. Aber sie lachen auch über die gleichen Themen. Das Schweizer Publikum ist natürlich das Beste, das muss ich sagen. Denn im Dialekt stehen einem Wörter zur Verfügung, die man im Hochdeutsch nicht hat. Bei den ersten fünf Vorstellungen in einer fremden Sprache, egal ob Französisch oder Hochdeutsch, gehst du fast kaputt. Die Umstellung ist so hart, die Sätze anders. Der Körper hat sich an den Text gewöhnt. Bei diesem Wort geht der Arm automatisch nach oben, ohne dass ich daran denke. Oder auch die Mimik passiert automatisch. In einer anderen Sprache ist der Körper nicht so weit, das nachzuvollziehen.

Am 6. Januar werden Sie 85. Wie werden Sie feiern?

Jahre sind nicht wichtig. Es stellt sich die Frage: Arbeiten oder nicht arbeiten? Ich finde arbeiten das gesündeste, was man machen kann. Ein Arzt hat zu mir gesagt: ‹Emil, ich kann dir sagen, nach 65 Jahren geht es nur noch bergab mit den Menschen. Machen Sie weiter so, wie Sie sind.›

Das Gespräch führte Iwan Santoro.

Emil Steinberger und Franz Hohler.
Legende: Die beiden Freunde Emil Steinberger und Franz Hohler. SRF/Oscar Alessio

Emil Steinberger musste vieles alleine machen. Aus dem Elternhaus bekam er keine Unterstützung, von aussen nur wenig. Eine Ausnahme war Franz Hohler. Hohler ist selber Kabarettist, Satiriker und Schriftsteller und fast genau zehn Jahre jünger als Emil. Er habe seinen Freund unterstützt und motiviert – aber auch kritisiert. «Ich bin bei Emil im Kleintheater aufgetreten, das er in Luzern gegründet hatte.» Er habe ihm von Anfang an sehr gemocht. Dann habe er sich ein Programm von Emil angesehen.

«Dort waren etliche Dinge drin, von denen ich fand, dass sie nicht zu seinen Stärken gehörten.» So habe Emil beispielsweise Chansons gesungen und hinter fast jedem Requisit einen Spickzettel versteckt. «Die Nummern, die mir sofort einleuchteten, waren diejenigen, die Emil selbst kreiert hatte.» Hohler habe Emil dann gesagt, dass sie versuchen könnten, zusammen ein Programm zu erarbeiten. «Ich schaute, dass er nur das macht, was ihm liegt.» Und das hat funktioniert.

Viktor Giacobbo und Emil Steinberger.
Legende: Viktor Giacobbo übergibt Emil an den SwissAward den Lifetime-Award für sein Lebenswerk. (8. Januar 2011) Keystone

SRF News: Sie gehören zu einer anderen Generation. Aber auch für Sie ist Emil im Humor-Genre eine Institution. Gibt es für Sie den typischen Schweizer Humor?

Viktor Giacobbo: Es gibt den Schweizer Humor insofern als Emil beispielsweise einen typischen Schweizer spielen kann. Aber der Humor, der daraus hervorgeht, der ist nicht anders, als wenn ein Deutscher seinen Landsmann karikiert. Humor ist für mich Geschmackssache.

Programmhinweis

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Zu Emil Steinbergers 85. Geburtstag zeigen wir folgende Sendungen:

Emil sagt, dass der Humor in der Schweiz spärlich gesät sei. Würden Sie dem zustimmen?

Das finde ich überhaupt nicht. Ich bin etwas erstaunt, dass er das sagt. Denn er trifft ja dauernd Leute in seinem Publikum, die Humor eben schätzen.

Sie führen das Casinotheater Winterthur, wo Sie jungen Comedians eine Bühne bieten. Wie viel Emil steckt in diesen neuen Talenten?

Diese Frage stelle ich mir nicht. Jeder hat seine eigene Art Humor. Natürlich hat man als junger Komiker gewisse Vorbilder. Aber man soll nicht den Fehler machen und diese imitieren. Man soll das entwickeln, das man selbst lustig findet. Auch auf die Gefahr hin, dass ein Teil des Publikums es nicht mag. Nur so findet man dann ein Stammpublikum.

Worüber lacht man denn heute in der Schweiz?

Man lacht über dasselbe wie früher. Man lacht, wenn’s lustig ist. Die Frage ist einfach, welche Art Komik mag man. Mag man beispielsweise Alltagsgeschichten, die viele Stand Up-Comedians erzählen oder will man hören, was der Typ auf der Bühne so zur Politik meint. Das ist ein riesiger Unterschied.

Sie haben mit Mike Müller auch ein bisschen Stand Up-Comedy gemacht. Trotzdem sagt man immer, in der Schweiz ist das nicht dasselbe wie beispielsweise in den USA oder in Deutschland. Hat das mit der Sprache zu tun oder gibt es eben doch unterschiedliche Arten von Humor?

Ich glaube nicht, dass das dort besser funktioniert als hier. In den angelsächsischen Ländern hat Stand Up-Comedy einfach schon eine lange Tradition. Vor 20 Jahren haben es die Deutschen übernommen. Ich denke nicht, dass der Erfolg von der Sprache abhängig ist. In der Schweiz gab es lange auch keine Late-Night-Shows. Ich habe 1990 die erste gemacht: Viktors Programm. Dann folgte Viktors Spätprogramm und Giacobbo/Müller. Wir haben die Sendungen sehr schweizerisch gemacht. Die einen fanden, die Ausländer könnten es besser. Die anderen fanden, dass es eine schweizerische Art war, Humor zu machen. Darum haben wir ein grosses Stammpublikum gehabt.

Das Gespräch führte Iwan Santoro.

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