Strafrechtsprofessor Marc Pieth kennt die Mechanismen der Geldwäscherei russischer Oligarchen, wie etwa den Fall « Magnitski ». Der ist nach dem Anwalt Sergej Magnitski benannt, der in Russland Anzeige wegen Steuerhinterziehung erstattet hatte und 2009 selbst eingesperrt und getötet worden war.
Auch die Schweiz ermittelt in diesem Fall wegen Geldflüssen über eine Schweizer Grossbank in der Höhe von 40 Millionen Dollar – bisher allerdings ohne sichtbares Resultat. Mehr noch: «Bei der Bundesanwaltschaft hat es merkwürdige Dinge gegeben», sagt Pieth. «Man hat die zuständigen Staatsanwälte im Laufe des Verfahrens ausgetauscht.» Und es sei noch zu weiteren Unstimmigkeiten gekommen, so Pieth: «Man hört, dass der zuständige Bundespolizeibeamte seinen Posten geräumt hat.»
Nun erhellt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Umstände dieser Entlassung. Es geht um einen Spezialisten der Bundespolizei; ein Mann mit 20 Jahren Erfahrung. Ende 2016 wollte er nach Moskau fliegen, weil ihm die russische Staatsanwaltschaft Informationen versprochen hatte. Sein Chef lehnte die Reise mit der Begründung ab, er habe schon zu viele Überstunden.
Verhängnisvoller Einsatz des Diplomatenpasses
Kurzentschlossen flog der Mann in seinen Ferien auf eigene Faust dorthin, allerdings mit offiziellem Diplomatenpass. Nach seiner Rückkehr wurde er entlassen. Nun heisst das Bundesverwaltungsgericht dieses Vorgehen gut: Der Reiseantrag sei abgelehnt worden. Indem sich der Ermittler darüber hinwegsetzte, sei das Vertrauen in ihn unwiederbringlich zerstört worden.
Dessen Anwalt, Dominic Nellen, ist perplex: «Es ist absurd. Mein Mandant wurde von seinen direkten Vorgesetzten gelobt, auch was diese Reise angeht. Die Kündigung steht in keinem Verhältnis zu seiner gut geleisteten Arbeit.»
Zusätzlich zur Entlassung eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren wegen der Vorwürfe der Amtsanmassung und der Bestechung. Dies, weil der Mann in seiner Freizeit als Ermittler aufgetreten war, und weil ihm die russische Staatsanwaltschaft die Hotelübernachtungen bezahlt hatte.
War solch schweres Geschütz allein wegen dieser einen Reise nötig? Ja, bekräftigt eine Sprecherin der Bundespolizei. Das Vertrauen sei durch die Reise zerstört worden.
Bundesanwaltschaft dementiert Gerüchte
Eine mit dem Dossier vertraute Person dagegen meint, die Bundesanwaltschaft habe ihre Politik gegenüber Russland ändern wollen, und die hartnäckigen Ermittlungen des entlassenen Mitarbeiters hätten dabei gestört.
Der Bund habe den Fehltritt genutzt, um den unbequemen Ermittler loszuwerden. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft, André Marty, erwidert: «Es ist schlicht im Reich der Fantasien einzuordnen, wenn jemand in Unkenntnis der Sachlage behauptet, die Bundesanwaltschaft nähme eine Strategieänderung im Umgang mit den russischen Behörden vor.»
Umgekehrt kursiert unter russischen Dissidenten der Vorwurf, via die Schweizer Bundesanwaltschaft gelangten heikle Informationen in die Hände russischer Ermittler und von dort weiter zur russischen Mafia. Sie machen die Schweiz dafür mitverantwortlich, dass 2012 ein russischer Whistleblower in London starb, kurz nachdem er sich den Schweizer Behörden anvertraut hatte.
Schweizer Behörden mit Dossier überfordert?
Die Kritik an den Schweizer Ermittlungen reisst nicht ab. Geldwäschereiexperte Pieth sagt, inzwischen müsse man sich fragen, «ob die Finma einerseits und die Bundesanwaltschaft andererseits im Grunde nicht in der Lage sind, mit grösseren und auch politisch heikleren Verfahren fertig zu werden».
Marty von der Bundesanwaltschaft weist das zurück: «Letzte Woche gab es auf Anregung der Bundesanwaltschaft in Den Haag ein Treffen europäischer Strafverfolgungsbehörden. Die Bundesanwaltschaft hat fünf Länder um Rechtshilfe ersucht. Allein diese Tatsache beweist, wie aufwändig solch ein Strafverfahren ist.» Ausserdem seien die Gelder in der Schweiz blockiert. Von Untätigkeit oder Überforderung könne nun wirklich keine Rede sein.