- Laut Caritas sind 97 Prozent der rund 200 untersuchten Kreditverträge gesetzeswidrig.
- Caritas hat die Finanzmarktaufsicht (Finma) eingeschaltet. Diese sieht aber keinen Handlungsbedarf.
- Die Nationalrätin Lisa Mazzone (Grüne/GE) will den Bundesrat mit einem Postulat zwingen, Massnahmen zu prüfen.
Ein Sofa, eine Reise, ein Auto: Mit einem Barkredit lassen sich Wünsche auf Pump finanzieren. Frau U. allerdings trieben keine Konsumwünsche, sondern Geldsorgen zur Bank. Nach einer Trennung wuchsen ihr die Lebenshaltungskosten über den Kopf. «Ich hatte die Steuern nicht bezahlt, die Elektrizität – und ich hatte niemanden, der half», sagt die 60-Jährige.
Sie nahm bei der Bank Now einen Kredit auf und stockte diesen mehrmals auf. Weil sich mit jedem neuen Kredit aber auch die Zinsen, die sie der Bank schuldete, erhöhten, rutschte Frau U. immer tiefer in die roten Zahlen. Sie konnte den Kredit nicht abzahlen, erhielt Betreibung und Pfändungsandrohung und suchte schliesslich Hilfe bei der Schuldenberatung.
Dauerbrenner in der Schuldenberatung
Frau U. sei kein Einzelfall, sagt Sébastien Mercier, Geschäftsführer des Dachverbands Schuldenberatung Schweiz . Die neusten Zahlen zeigen: 30 Prozent der überschuldeten Personen, die 2017 Hilfe gesucht haben, haben auch Barkreditschulden. «Oft haben diese Personen versucht, mit dem geliehenen Geld andere Schulden zu tilgen. Die Bank hätte ihnen gar keinen Kredit geben dürfen», sagt Mercier.
Just die beiden grössten Anbieter von Barkrediten vergäben aber zu lasch Kredite: «Die Bank Now und die Cembra Money Bank nehmen ihre gesetzliche Sorgfaltspflicht nicht wahr», sagt Mercier. Die beiden Banken führten die vom Konsumkreditgesetz vorgeschriebene Kreditfähigkeitsprüfung nur lückenhaft durch.
Fehlende Berufsauslagen
Lücken hatte auch das Budget von Frau M.: Die 48-Jährige hatte Geld bei der Cembra Money Bank aufgenommen, um offene Rechnungen zu bezahlen. Bei der Kreditfähigkeitsprüfung setzte die Bank die Berufsauslagen zu tief an: Weil Frau M. Schicht- und Spätdienst arbeitet, hat sie hohe Verpflegungskosten. Und weil sie drei verschiedene Jobs hat, ist sie auf ein Auto angewiesen – beides fehlte im Budget.
Aus Sicht von Cembra Money Bank lief die Kreditvergabe indes korrekt ab: Frau M. habe diese zusätzlichen Berufsauslagen nicht angegeben und es habe auch nichts auf solche Kosten hingedeutet. Frau M.’s Anwalt hingegen findet, die Bank hätte genauer nachfragen müssen. Frau M. hatte den Fehler im Budget nicht bemerkt: «Ich hatte Vertrauen zur Bank. Ich dachte, die wissen schon, wem sie Geld geben – ob das geht oder nicht.»
Anzeichen für systematische Gesetzesverstösse
Solche Fälle hat Rausan Noori immer wieder auf dem Tisch. Die Juristin der Caritas berät die Schuldenberater in juristischen Fragen. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen und untersuchte rund 200 Kreditverträge von Bank Now und Cembra Money Bank, die im Zeitraum 2012 bis 2016 bei ihr gelandet waren. Ihr Fazit: 97 Prozent der Kreditvergaben seien fehlerhaft.
Eine Bank ist gesetzlich verpflichtet, das Budget des Kunden zu prüfen, bevor sie einen Kredit gibt. Aber die beiden Banken liessen systematisch Ausgaben weg, sagt Noori. Spesen für auswärtige Verpflegung, Kosten für Arbeitsweg, Steuern oder Krankenkasse würden zu tief angesetzt. «So entsteht verfügbares Geld, das nicht da ist und die Bank kann einen höheren Kredit vergeben.»
Die beiden Banken weisen diese Vorwürfe zurück. «Bank Now hält sich bei der Kreditantragsprüfung vollumfänglich an die gesetzlichen Vorschriften sowie an ihre ergänzenden internen Richtlinien.» Und Cembra Money Bank betont, sie kenne die von Caritas untersuchten Fälle nicht. «Wir weisen jedoch den Vorwurf systematisch fehlerhafter Budgetberechnungen entschieden zurück.»
Finma sieht keinen Handlungsbedar f
Barkredite sind ein Massengeschäft: 117'000 neue Barkredite wurden 2017 vergeben, Ende Jahr waren Kredite im Wert von 6,4 Milliarden Franken ausstehend. Mehr als die Hälfte davon bei Bank Now und Cembra Money Bank. Angesichts zehntausender Barkredite, die die beiden Banken jedes Jahr vergeben, seien 200 Verträge eine winzige Stichprobe, räumt Noori ein. «Aber in dieser Stichprobe waren 97 Prozent falsch – das kann doch kein Zufall sein.»
Caritas rief die Finanzmarktaufsicht (Finma) zu einer vertieften Prüfung auf, blitzte aber ab. Die Finma sieht keine Hinweise auf eine systematische Gesetzesverletzung. Dazu müsste «eine relativ hohe Anzahl von (schweren) Fällen» vorliegen, antwortet die Behörde der «Rundschau». Die Nationalrätin Lisa Mazzone (Grüne/Genf) will sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben. Sie wird ein Postulat zum Thema einreichen. «Ich möchte, dass der Bundesrat das Problem anerkennt und Massnahmen prüft.»
Appell ans Parlament
Frau U. indessen hat sich für den Gang vor Gericht entschieden und die Betreibung der Bank Now angefochten – mit der Caritas-Juristin Rausan Noori als Anwältin an der Seite. Laut Noori hat die Bank Now bei der Kreditvergabe an Frau U. grobe Fehler gemacht. Das wollten die beiden Frauen von einem Gericht bestätigt sehen.
Doch nach drei Jahren Prozess zog die Bank die Betreibung und ihre Forderung zurück. Für Frau U. ist das Problem damit eigentlich gelöst – zufrieden ist sie aber nicht. Rausan Noori, erklärt: «Frau U. möchte einen Entscheid, sie besteht darauf, dass ihr ein Gericht recht gibt.» Und Frau U. appelliert ans Parlament: «Ich finde die Politik macht nicht genug. Es geraten immer noch Leute in die Misere – aber man verschliesst einfach die Augen.»