Auf eine lange Reise wollte sie zwar schon, aber nicht gerade auf eine so lange. Die Autorin, Theaterschaffende und freie Journalistin Vera Urweider startete ihre Reise Richtung Süden Mitte Februar in ihrer Heimatstadt Biel. Mit dem Zug ging es nach Südfrankreich, das Schiff brachte sie nach Marokko, das Flugzeug schliesslich nach Kap Verde. Via Spanien sollte es zurück nach Biel gehen, um Anfang April für die Bieler Fototage zu arbeiten.
Nun ist es Ende Oktober, und Vera Urweider ist noch immer nicht in Biel. Sie ist stecken geblieben auf den Kapverdischen Inseln. Statt der geplanten zwei Monate dauert ihre Reise bereits neun.
Gerade einmal drei Tage war sie auf der Insel Sal, als auf einmal nichts mehr ging. Auf Sal gab es offiziell zwar keinen einzigen Corona-Fall. Trotzdem wurde die Insel isoliert, die Grenze geschlossen, Flüge gestrichen.
Theoretisch wäre es möglich gewesen, nach Hause zu gehen. Irgendwie. Über Paris, Luxemburg oder Köln vielleicht. Sie habe aber Menschen kennengelernt, die während Wochen jeden Tag stundenlang am Flughafen auf einen möglichen Flug warten mussten, sagt sie. «Das war mir zu blöd.»
Das Ausreisen wurde danach nicht einfacher. «Eine Freundin von mir, Niederländerin, versuchte, während mehr als zwei Monaten nach Hause zu kommen», erinnert sich Vera Urweider. Ihr selber war dieser Aufwand zu gross – zumal zu Hause alle ihre Aufträge abgesagt worden waren.
Isoliert auf der Insel – in «Insolation»
Sie sagte sich: «Entweder man beschäftigt sich mit einer Flucht, oder man gibt sich der Insel hin und schaut, was sie alles bietet.» Allerdings: Zu Beginn durfte Urweider die 30 Kilometer lange und 12 Kilometer breite Insel gar nicht entdecken. Raus durfte man nur, um einzukaufen. Also ging sie jeden Tag einkaufen. Stets dabei: ein halbes Kilo Zucker im Rucksack – «falls die Polizei kontrollierte.»
Heimweh hab ich noch keins.
Über diese Eindrücke schreibt sie in Briefen. Jede Woche wird einer dieser Briefe in der Berner Kulturagenda veröffentlicht – Inselpost in die Heimat . Mit dem Zustupf kann Vera Urweider ihr Leben auf Sal finanzieren.
In den Briefen beschreibt die Gestrandete, wie sie Leute kennenlernte, Freunde fand. Ribanna, die Meeresbiochemikerin aus Deutschland, Marcos, der Spanier, der Meeresschildkröten rettet. Ricardo der Kitelehrer, Thomas der Tauchlehrer. Sie brachten Vera Urweider zum Roten Kreuz, wo sie Essen verteilte. Zu einer NGO, bei welcher sie Schildkröten hilft, oder zu einer Aktion, bei der sie den Strand von Müll befreite.
Urweider hat sich ein Velo gekauft, eine Wohnung gesucht, lernte Portugiesisch und kapverdisches Kreol. «Sodade. Man kann dieses kreolisch-portugiesische Wort wohl am besten mit Längiziti übersetzen», schreibt Vera Urweider in einem ihrer Briefe.
So richtig «Längiziti» habe sie jedoch nicht gehabt, sagt sie. Vielleicht noch nicht. Seit zwei Wochen sind die Grenzen wieder offen. Vera Urweider könnte nun theoretisch nach Hause. Oder sie könnte die anderen Inseln entdecken. Doch sie sagt: «Ich mag gar nicht. Ich bin müde. Müde von all den vielen neuen Eindrücken.»
Vielleicht an Weihnachten zurück in der Schweiz
Bloss: Die mühsame Heimreise bremst sie, die Odyssee mit Schiff, Flug, Transit, wieder Flug, wieder Zug. Und noch viel mehr kommen Zweifel auf: «Wenn ich jetzt gehe, verlasse ich etwas, das es nicht mehr geben wird.» Denn sobald die Touristen wiederkämen, werde die Insel nicht mehr dieselbe sein.
Dennoch will Vera Urweider wieder zurück nach Biel. Vielleicht schafft sie es bis Weihnachten. Nach der langen, elfmonatigen Reise, die eigentlich nur zwei Monate hätte dauern sollen.