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Marzili in Bern
Legende: Sommersession ist etwas für Leute, die keine Badehose haben? Von wegen! Und in der Aare war es ohnehin noch «ender früsch». Keystone

Hitzige Sommersession Donnerwetter in Bundesbern

Tage der Abrechnung im Bundeshaus: Bauern gegen den Bundesrat, Bergler gegen den Wolf – und alle gegen die SVP. Ein (nicht ganz ernst gemeinter) Sessionsrückblick.

Noch immer dominiert in der Bundeshauptstadt ein Thema: der erste Titel der Young Boys seit (gefühlten) 137 Jahren. In Berns Gassen werden weiterhin seltsame Gestalten mit gelben T-Shirts gesichtet. Auf jedem davon prangt die Aufschrift «12».

Wer nicht gerade unbeteiligte Passanten auf die Anzahl Meistertitel des Berner Stadtklubs hinweist, legt sich unten an die Aare. Und denkt sich, wenn er hinauf zum Bundeshaus blickt: Naja. Im Sommer ist es doch irgendwie zu heiss für Politik.

Schützen bei Rütlischiessen
Legende: Pulverdampf stieg nicht nur bei der Debatte zur Selbstbestimmungsinitiative auf. Auch ein anderes «Diktat aus Brüssel» – die EU-Waffenrichtlinie – erhitzte die Gemüter. Hier nahmen nicht Juristen, sondern die Schützen die EU aufs Korn. Keystone

So (oder so ähnlich) scheint es auch den Parlamentariern selbst zu gehen. Die Sommersession ist nur selten mit allzu gewichtigen Geschäften beladen. Die Stimmung ist frühsommerlich entspannt. Doch diesmal war alles anders: Es wurden offene Rechnungen beglichen, Salven Richtung Brüssel abgefeuert, und – wieder einmal – Biber verängstigt.

Spätestens als «Selbstzerstörer» auf «Demokratieabschaffer» trafen , war es auch im Berner Stadtbad vorbei mit der Ruhe. Fast die Hälfte der Nationalräte sah sich genötigt, ihre Meinung zur Selbstbestimmungsinitiative der SVP kundzutun. Manche von ihnen schrien.

Der ein oder andere Badegast im Berner Marzili dürfte sich entnervt die Kopfhörer aufgezogen haben. Doch es half alles nichts. Bis in die letzte Sessionswoche hinein dauerreferierten vor allem die SVP-Vertreter über «Fremde Richter», und die Parteikollegen fragten ihnen Löcher in den Bauch:

Die Endlos-Beratungen sorgten bald einmal für Ermüdungserscheinungen bei den Räten, wie ein Stimmungsbild von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen belegt:

Und dann kam ein ungeheuerlicher Verdacht auf. Wollte die SVP die Beschlussfassung zu ihrer Initiative verhindern, damit diese erst 2019, im Wahljahr, zur Abstimmung kommt? «Gut möglich», befand Politikberater Mark Balsiger.

Das Nationalratsratsbüro intervenierte: Es ordnete in der letzten Sessionswoche eine Nachtschicht an. Gegen den Widerstand der SVP. Bevor die «Fremden Richter» am späten Montagabend durchberaten waren, ging niemand ins eigene Bett.

Bauernaufstand im Nationalrat

Neben der teils inszenierten Wut gab es aber auch echte. Mit der Agrardebatte im Nationalrat fand eine monatelange Dauerfehde zwischen Bauern und Bundesrat ihren vorläufigen Höhepunkt. Nach teils wüsten Attacken gegen «Freihandelsturbo» Johann Schneider-Ammann herrschte zeitweise sogar Funkstille zwischen den zerstrittenen Lagern.

Die gute Nachricht: Im Parlament wurde wieder gesprochen. Allerdings nicht mit-, sondern übereinander. Und das nicht nur freundlich.

SVP-Nationalrat Marcel Dettling gab Einblicke in das Seelenleben eines Bergbauern. «Heute Morgen war ich in steilem Gelände unterwegs, um eine Wiese zu mähen. Und der Bericht des Bundesrats ging mir viel durch den Kopf.»

Die Parlamentarier aus Zürich, Basel und Genf folgten den Ausführungen mit ungläubigem Staunen, und nahmen einen Schluck aus ihrem Low-Fat Soja-Latte.

Wallis 1 – Wolf 0

Für gegenseitiges Verständnis zwischen Stadt und Land warb der Zürcher IT-Pionier Ruedi Noser – ausgerechnet beim Thema Wolf. Die Diskussion würde «gewaltig ändern», wenn dereinst ein Wolf durch Zürich spazieren sollte.

Geht es nach Ständerat Thomas Minder, wird das so schnell nicht passieren. Denn vorher würden die Bündner und Walliser ohnehin alle Bären und Wölfe «abknallen». Mit dem Votum waren Nosers Bemühungen fürs erste dahin: Schiesswütige Bergler und weltfremde Naturromantiker zogen sich in die Schützengräben zurück.

Bundesrätin Doris Leuthard sorgte für einen Moment der Heiterkeit in einer zuweilen gehässigen Debatte. Bei der Revision des Jagdgesetzes wurde nämlich nicht nur das Schicksal von Wolf, Luchs und Biber verhandelt (sie sollen zu jagdbaren Tierarten erklärt werden).

Auch weniger prominente Vertreter der Fauna hatten ihren Auftritt – etwa die Waldschnepfe. Bei der Umweltministerin hinterliess sie offenbar keinen bleibenden Eindruck. Für Detailfragen verwies sie an «Herrn Ständerat Hösli. Er ist der grössere Spezialist in Bezug auf Schnepfen als ich es bin.»

Schliesslich kehrten zwei alte Bekannte in den Rat zurück: Die Firmensteuern und die AHV. Der Empfang im Ständerat war kühl. Denn mit der Unternehmenssteuerreform III und der Rentenreform 2020 erlebten kürzlich beide Geschäfte einen spektakulären Absturz an der Urne.

Nun soll zunächst einmal die «Steuervorlage 17» mehrheitsfähig gemacht werden. Der Ständerat greift dafür in die Trickkiste: Als Zückerchen für die Linke soll die AHV zusätzliche zwei Milliarden Franken pro Jahr erhalten. Dafür bekommen die Bürgerlichen eine Steuerreform nach ihrem Gusto.

Finanzminister Maurer im Ständerat
Legende: Kein Strassenfeger, aber trotzdem wichtig: Das Royal Wedding generierte ungleich höhere Einschaltquoten als unsere Liveübertragung der Vermählung von Steuervorlage und AHV. Keystone

Die «Sternstunde des Parlamentarismus», wie sie SP-Ständerat Roberto Zanetti nannte, fand nicht nur Zustimmung. SVP-Mann Peter Föhn warnte davor, zwei Kranke zu verheiraten. Das sei noch nie gut herausgekommen. Die Ständeräte taten es trotzdem. Ob das Volk dem ungleichen Paar seinen Segen erteilt, bleibt allerdings fraglich.

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