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Höhere Studentenzahlen «Die klassische Lehre ist überhaupt nicht in Gefahr»

Horizont erweitern und flexibel sein: Bildungsexperte Antonio Loprieno hält den Run auf Hochschulen für gut und nötig.

Junge Erwachsene wählen in der Schweiz immer öfter den tertiären Bildungsweg: Universität, Fachhochschule oder höhere Berufsausbildung. Der ehemalige oberste Rektor der Schweiz und heutige Präsident von All European Academies (Allea), Antonio Loprieno, findet diese Entwicklung erfreulich.

Antonio Loprieno

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Der italienisch-schweizerische Ägyptologe Antonio Loprieno war ab 2005 Rektor der Universität Basel, ab 2008 auch Präsident der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten. Seit Mai 2010 ist Loprieno Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz und Präsident des europäischen Dachverbandes der Akademien der Wissenschaften All European Academies (ALLEA).

SRF News: Der Andrang zum tertiären Bildungsweg ist gross. Wie begründen Sie ihre positive Beurteilung?

Antonio Loprieno: Wir leben in einer Gesellschaft, die sich als wissensbasiert versteht. Es braucht immer mehr junge Leute, die nicht nur eine Lehre machen, was natürlich sehr gut ist, sondern auch die Flexibilität erwerben, eines Tages verschiedene Berufe ausüben zu können, in denen ein gewisser Bildungsstand erwartet wird.

Ist die Schweiz für so viele Studierende überhaupt gewappnet?

Hier muss man ein wenig aufpassen, dass wir nicht auf höchstem Niveau klagen und jammern. Wenn man die Studierendenzahlen sowohl auf universitärer wie auch auf Fachhochschulebene anschaut und mit dem benachbarten Ausland vergleicht, so verläuft diese Akademisierung in der Schweiz immer noch langsamer als in anderen Ländern.

Es ist natürlich gut, dass wir der Berufsbildung die gebotene Bedeutung einräumen. Zugleich entwickelt sich die Gesellschaft aber immer mehr in Richtung einer Spezialisierung auch auf Bildungsebene. Also in Wissensbereichen, die eine besondere Qualifikation erfordern. Entsprechend ist es gut, dass in der Schweiz die Studierendenzahlen am Universitäten und Fachhochschulen moderat wachsen.

Sie sind Ägyptologe, wie viele von diesen braucht es in der Schweiz?

Sehr wenige. Allerdings bedeutet das nicht, dass wir nur sehr wenige Ägyptologie-Studierende brauchen. Denn insbesondere ein geisteswissenschaftliches Studium bereitet nicht nur auf einen spezifischen Beruf vor wie etwa eine Lehre, sondern auf eine Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten in der Gesellschaft.

Heute braucht man für alles einen Bachelor oder Master. Werden damit diese Titel nicht entwertet?

Nein, das glaube ich nicht. Wir haben ein Berufssystem und eine politische Landschaft, die zum Glück auch den dualen Bildungsweg schützt und gegen äussere Gefahren verteidigt. Ich sehe die klassische Lehre überhaupt nicht in Gefahr. Ich will aber eine gewisse Offenheit haben für die «akademischen» Qualifikationen, sei es an Universitäten oder Fachhochschulen. Diese sind nämlich in einer Wissensgesellschaft genauso wichtig.

Als Präsident von All European Academies sehen Sie in die verschiedensten Bildungssysteme hinein. Wo steht da die Schweiz?

Die Schweiz kann stolz auf ihre Errungenschaften sein. Indem wir sehr früh ein duales Bildungssystem eingeführt haben, konnte die Jugendarbeitslosigkeit weitestgehend vermieden werden. Allerdings dürfen wir eine gewisse Entwicklung zu immer mehr Wissen auch in spezialisierten Gebieten nicht verschlafen und glauben, wir hätten durch den guten doppelten Bildungsweg schon alle Probleme gelöst.

Die wachsende Zahl von Studierenden ist also kein Problem?

Es ist überhaupt kein Problem. Im Vergleich mit dem Ausland sind wir noch auf einer niedrigen Stufe. Wir wollen ja schliesslich auch eine kritische Grösse an Schweizer Studierenden ausbilden, die eines Tages akademische Berufe aufnehmen. Sonst wären wir nur auf den Import von ausländischen akademischen Kräften angewiesen. Das wollen wir ganz sicher nicht.

Das Gespräch führte Linda von Burg.

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