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Elefanten im Zoo Zürich beziehen neue Halle
Aus Schweiz aktuell vom 06.06.2014.
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Schweiz «Ich bin gegen die Haltung von Elefanten in Zoos»

Der ehemalige Tieranwalt Antoine F. Goetschel erklärt unsere Liebe zu Elefanten. Und er äussert Kritik am 57 Millionen Franken teuren «goldenen Käfig» im Zürcher Zoo.

Herr Goetschel, welches ist Ihr Lieblingstier?

Jedes Tier, dem es gut geht.

Präziser bitte. Jeder hat doch ein Lieblingstier.

Zur Person

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Legende: Keystone

Antoine F. Goetschel (55) ist der Ethiker unter den Zürcher Anwälten. Von 2007 bis 2010 war er der erste Tieranwalt im Kanton Zürich. Er war massgeblich daran beteiligt, dass Tiere heute nicht mehr als Sache, sondern als Lebewesen betrachtet werden. 2012 veröffentlichte er sein Buch «Tiere klagen an». www.afgoetschel.com

Also gut. Aktuell ist es der Löwe. Ich benötige seine Kraft und seine Weisheit, um mein Projekt «Global Animal Law» voranzutreiben. Dabei geht es darum, weltweit die Stellung des Tieres im Recht zu verbessern. Am 10. Juli wird die Website aufgeschaltet. In der Pfadi hiess ich allerdings Jumbo, wie der Elefant.

Wie kam das?

Ich galt als gutmütig und gemächlich, war ein Herzöffner. Pfadifreund Alex Rübel, der heutige Zürcher Zoodirektor, hiess übrigens Chüngel.

Elefanten geniessen allgemein einen guten Ruf. Weshalb ist das so?

Es sind unglaublich weise Herdentiere. Was kaum bekannt ist: Elefanten kommunizieren über Infraschall aus dem Kehlkopf bis zu zehn Kilometer weit. So können sie andere Gruppen auf Gefahren wie Brände aufmerksam machen.

Sind die Gründe dafür nicht eher der Rüssel, die lustigen Ohren, der treue Blick?

Natürlich spielt der «Jöh-Effekt», man sieht im Elefanten gerne ein Knuddeltier. Die Gefahren, die von ihm aber ebenso ausgehen können, werden komplett ausgeblendet. Als vor einigen Jahren ein Zirkuselefant ausgebüxt und über die Zürcher Bahnhofstrasse getrampelt ist, hätte es leicht Verletzte geben können.

Die Hindus haben Ganesha, den Elefantengott. Ihre Verehrung ist nachvollziehbar. Weshalb aber fasziniert uns Schweizer das Tier gleichermassen?

Für das Wilde, die Freiheit und die Unabhängigkeit haben wir bei uns den Steinbock. Die Kuh steht für das Beschauliche. Was uns fehlt, ist das Exotische. Der Elefant hat eine Aura, er strahlt Würde aus.

Dabei riechen Elefanten streng, sie haben eine lange Nase, krumme Zähne und eine runzelige Haut. Alles keine gängigen Schönheitsideale.

Sie sprechen eben andere Sinne an. Mit ihrer Anciennität, ihrer Bedächtigkeit und ihren Emotionen. Sowieso: zu seinen Runzeln stehen, das ist doch cool! Nicht jeder entspricht dem erotisch aufgeladenen Bild einer Gazelle. Viele Menschen, die nicht unseren Schönheitsidealen entsprechen, fühlen sich dem Elefanten verbunden. Was sind schon ein paar Dutzend Kilo zu viel auf den Rippen.

Elefanten sorgen nicht gerade für viel Spektakel im Zoo. Sie fressen keine anderen Tiere, albern nicht unablässig herum wie die Schimpansen, sind eher stille Wesen. Warum langweilen sie uns trotzdem nicht?

Uns spricht der vermeintlich menschliche Umgang der Tiere untereinander an. Wir denken fälschlicherweise, wir könnten die sozialen Spiele der Tiere mit unseren Erfahrungen als Menschen gleichsetzen. Der Grossvater etwa, der zu seinem Enkel sagt: «Schau, jetzt stampft der Grosse, das ist wie bei uns.» Beim Zitteraal ist sowas nicht möglich.

Welche Rolle spielen die Vorbilder aus dem «Dschungelbuch» oder aus «Babar»?

Babar kauft Hut und Schuhe.
Legende: Das Buch «L'histoire de Babar» aus dem Jahr 1931 erzählt die Geschichte eines Elefanten, der zum Menschen erzogen wird. Keystone

Meine Mutter war Französin, sie hat mir aus «Babar» vorgelesen. Im Buch spricht die alte Dame dem Elefanten so etwas wie Würde zu, auf Französisch «dignité». Dann steckt sie den kleinen Babar in einen grünen Anzug, kauft ihm Schuhe und einen Hut. Das Wilde kommt ihm abhanden. Mit «dignité» meint die Dame ausschliesslich die menschliche Würde.

Müsste man demnach «Babar» verbieten?

Ich finde es heikel, wenn Tiere Menschengeschichten erzählen. Aber ich bin auch der Meinung, dass nicht immer alles politisch korrekt sein muss. Babar wärmt die Herzen der Menschen, also soll er gelesen werden. Schön wäre es, wenn Eltern ihren Kindern gleichzeitig Bücher vorlesen würden, die von der Würde des Tiers in freier Wildbahn handeln. In der Literatur aber auch im Zoo sollten sich Tier und Mensch auf Augenhöhe begegnen.

Ist das im neuen Zürcher Elefantenpark möglich?

Ich bin gegen die Haltung von Tieren in Zoos. Einer meiner Lieblingssätze lautet aber: «Besser ist besser als schlechter.» Auch wenn sich die Situation für die Zürcher Elefanten massiv verbessert hat, bleiben sie ein Leben lang gefangen in ihrer Luxuswohnung am Zürichberg für 57 Millionen Franken. Der Mensch bestimmt, ob die Herde wachsen darf, er steckt ihr Revier ab. Das ist kein Tierschutz sondern lediglich eine Tiernutzung.

Der Zoo unterstützt Projekte in den Heimatländern der Tiere, setzt sich etwa in Thailand für den Asiatischen Elefanten ein.

Das reicht aber nicht. Wer Tiere nutzt, sollte die Hälfte der Kosten, die ein neues Projekt verursacht, in die Verbesserung der Stellung des Tieres im Recht in seinem jeweiligen Heimatland investieren. Ich denke etwa an die Schaffung von offiziellen Tieranwälten für Elefanten, zusammen mit einer Tierschutzpolizei, wie wir's im Kanton Zürich hatten. Das wären dann zum Beispiel 30 Millionen Franken für Menschen, die sich in Afrika und Asien für die wirksame und nachhaltige Strafverfolgung von Wilderern einsetzen. So könnte man für den Artenschutz mehr rausholen als mit sechs Elefanten in einem goldenen Käfig.

Als im Zoo Zürich das Kapuzineräffchen Kelso ausbüxte, machten sich ganze Schulklassen im Wald auf die Suche nach ihm. Was halten Sie davon?

Kelsos Flucht

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Legende: Keystone

Im August 2012 büxte das anderthalbjährige Gelbbrustkapuzineräffchen Kelso aus dem Zoo Zürich aus. Zunächst hoffte man, das Tier irgendwo in den umliegenden Wäldern zu finden. Freiwillige machten sich auf die Suche, TV-Stationen berichteten. Im November gab es kaum mehr Hoffnung. Man geht davon aus, dass Kelso gefressen wurde oder erfroren ist.

Mich hat gewundert, dass der Fall keine juristischen Konsequenzen hatte. Man macht sich strafbar, wenn ein Gehege nicht ausbüxsicher gebaut ist. Weil man so den qualvollen Tod eines Tieres in Kauf nimmt. Dass Kinder sich auf die Suche nach Kelso machten, stört mich nicht. Es entspricht einem Urbedürfnis des Menschen, dem leidenden Tier Linderung zu verschaffen. Zu denken gibt mir, dass Menschen, die sich vormittags um Kelso sorgen, am Nachmittag ohne Probleme einen Bic Mac verspeisen können.

Wie bitte?

Es ist komplex. Mir geht es darum, dass die derzeit fragwürdige Mensch-Tier-Beziehung endlich diskutiert wird. Wenn die Suche nach einem Kapuzineräffchen uns im Kleinen zum Nachdenken anregt, ist gegen so ein Unternehmen nichts einzuwenden. Weltweit braucht es aber einen Gesinnungswandel hin zu einer widerspruchsärmeren Besserstellung von Tieren in Recht und Ethik in der Gesellschaft.

Zurück zum Elefanten. In einer Umfrage belegte er jüngst nur den dritten Rang auf der Beliebtheitsskala. Wer denken Sie stand ganz oben?

Der Delfin?

Nein. Der Kakapo, ein Papagei, der nicht fliegen kann.

Wunderbar. Da hatte man vermutlich Bedauern mit dem Vogel. Diese Ranglisten sind ausserordentlich heikel. In den Top-10 finden sich wohl nur Tiere, die mit uns in Beziehung treten können. Flipper, oder der Chihuahua, der so lieb zu uns hochschaut. Ein Fisch kann uns aber nur sein kaltes Maul zeigen. Solche Listen führen zu einem emotionalen Tierschutz, wobei wir eigentlich einen warmherzigen und vernünftigen Tierschutz bräuchten. Es ist nicht erstaunlich, dass gerade für die Zürcher Elefanten so viel Geld gespendet worden ist.

Werden Sie den neuen Park besuchen?

Das steht nicht in meiner Agenda.

Wie ist das Verhältnis zu Ihrem Pfadifreund Chüngel heute?

Er ist ein toller Mann, der das Beste aus dem Bestehenden macht. Innerhalb des Systems Zoo verfügt er über eine enorme Strahlkraft. Allen Zoos fehlt jedoch eine überzeugende Strategie, den Tieren in ihren Heimatländern zu einer Besserstellung zu verhelfen. Man zeigt die Tiere, schickt etwas Geld in die Herkunftsregion – das hat etwas Schmalbrüstiges.

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