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Keine Prüfungen wegen Corona Diese Frau ist Maturandin ohne Maturaprüfung

Endlich wieder in die Schule – das gilt ab Montag für alle Kinder der unteren Stufen. Die weiterführenden Schulen aber, Gymnasien zum Beispiel, bleiben vorerst zu. Mit Folgen für die Maturaprüfungen. Einige Kantone haben beschlossen, ganz darauf zu verzichten, so etwa der Kanton Bern.

Die Unklarheit hat uns alle sehr gestresst, wir wussten nicht, wie es weitergeht.
Autor: Ann-Kathrin Hellenbart Gymnasiastin

Im Zimmer von Ann-Kathrin Hellenbart im Berner Länggass-Quartier stapeln sich die Maturbücher. «Ich hätte von Franz Kafka ‹Der Prozess› und von Lessing ‹Emillia Galotti› lesen müssen.» Nun weiss sie seit wenigen Tagen, dass sie keine Maturaprüfung schreiben muss. «Ehrlich gesagt bin ich sehr erleichtert über diesen Entscheid.»

Sieben Wochen Ungewissheit

Erleichtert nach sieben Wochen Ungewissheit – seit auch ihr Gymnasium geschlossen wurde. Sieben Wochen, welche die 18-jährige Schülerin hauptsächlich in ihrem Zimmer verbrachte, lernte und versuchte, sich zu motivieren. Für eine Prüfung, die nur vielleicht stattfinden würde – fünf Fächer, schriftlich und mündlich. «Die Unklarheit hat uns alle sehr gestresst, wir wussten nicht, wie es weitergeht.»

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Legende: Ann-Kathrin Hellenbart schmerzt es, dass sie sich nicht mehr von ihrer Klasse verabschieden kann. SRF/ Sabine Gorgé

Mit ihren Freundinnen, der Klasse und den Lehrern hat sie in dieser Zeit hauptsächlich per Videochat kommuniziert. Annkathrin Hellenbart ist eine gute Schülerin, sie hätte keine Angst gehabt, die Matura nicht zu bestehen.

«Sie wurden aus dem fahrenden Zug geworfen»

Nun wird ihr Zeugnis auf den Erfahrungsnoten basieren. Alles gut also? Nein, nicht nur. Es schwingt auch ein Stück Bedauern mit – dass sie nun nicht richtig von ihrer Klasse und ihrer Schulzeit Abschied nehmen kann. «Man hätte ein letztes Mal zusammen sein können, das finde ich sehr wichtig.»

Ein Ritual, ein Stück Erwachsenwerden, ein wichtiger Schritt im Leben, der wegfällt. Keine Maturaprüfungen – das gab es noch nie – sagt Rolf Maurer, Rektor des Berner Gymnasiums Neufeld. Für seine Schülerinnen und Schüler sei das eine sehr spezielle Situation: «Sie wurden am 13. März sozusagen aus dem fahrenden Zug geworfen, nun ist für sie fertig.»

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Legende: Rektor Rolf Maurer findet den Entscheid, die Maturaprüfungen abzusagen, richtig. SRF/ Sabine Gorgé

Trotzdem findet er den Entscheid, die Prüfungen abzusagen, richtig. Zum einen wegen der Chancengleichheit, weil nicht alle Maturandinnen und Maturanden in den letzten Wochen zu Hause die gleichen Bedingungen und ein gutes Lernumfeld gehabt hätten.

Zum anderen, weil es auch fachlich vertretbar sei: Denn die Erfahrungsnoten würden die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in den letzten 4 Jahren gut abbilden. Zur Prüfung antreten müssen nur diejenigen, deren Notenschnitt ungenügend ist – das sind eine Handvoll – bei so Wenigen liessen sich die Distanz- und Hygieneregeln einhalten, so Maurer.

Der Rest erhält ein vollwertiges Abschlusszeugnis. Er ist überzeugt: «Dass man ihnen nicht dauernd vorwerfen wird, sie wären ohne Prüfung an die Universität gelangt.»

Zwischenjahr ist gestrichen

Ann-Kathrin Hellenbart musste sich schneller als gedacht mit der Universität beschäftigen. Eigentlich wollte sie ein Zwischenjahr machen: Reisen sowie Sprachenlernen. Doch im Moment ist bereits das Ausziehen bei den Eltern kompliziert.

Wie in Corona-Zeiten eine WG finden? Wie einen Job neben dem Studium finden, in einer Zeit, in welcher die Arbeitslosenzahlen in den Himmel schiessen? Wie unter diesen Umständen ein neues Leben aufbauen? «Es nützt nichts, traurig zu sein. Nun beginnt etwas Neues, was ich nicht geplant habe und sicher ebenfalls cool wird.» Nach vorne schauen: Das geht, auch ohne Lessing und Kafka gelesen zu haben.

SRF, Echo der Zeit, 10.5.2020, 18:00 Uhr

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