Marina Carobbios Haus liegt hoch über Lumino am Hang. Sie winkt aus dem Fenster, öffnet dann gutgelaunt die Tür. Der Weg zur Küche, wo der Kaffee wartet, führt vorbei an ihrem Lieblingsort im Haus. «Das ist mein Büro», sagt sie. Der Raum ist voller Bücher. Sie könne nicht in ein Büchergeschäft ohne etwas zu kaufen. «Wenn ich arbeite, brauche ich viel Papier um mich herum.»
Ihre Arbeit als Ärztin in einer Hausarztpraxis hat sie für das Präsidialjahr niedergelegt. Die Praxis liege im italienischsprachigen Teil von Graubünden, woher auch ihre Mutter komme, sagt sie. «Ich habe einen starken Bezug zum Misox, ich spreche darum weniger vom Tessin als von der italienischsprachigen Schweiz», sagt Carobbio.
Den Zusammenhalt im Land stärken
Carobbio betont ihre Haltung als Brückenbauerin im Hinblick auf das Nationalrats-Präsidialjahr. Die SP-Nationalrätin, die sich für den Umweltschutz, Mieterrechte oder die Einheitskrankenkasse einsetzt, will vermehrt den Dialog zwischen den verschiedenen Landesteilen fördern – und so auch den sozialen Zusammenhalt im Land stärken.
Erreichen will sie dies, «indem man denjenigen Menschen eine Stimme gibt, die sonst nicht gehört werden von der Politik. Sie meine damit zum Beispiel kulturelle Minderheiten. «Ich spreche aber auch ganz klar von den Frauen, die immer noch viel zu wenig präsent sind in unserem Land und in der Politik.»
Einsatz für die Frauen und fürs Italienische
Carobbio verschreibt sich während ihrer Präsidentschaft bewusst Frauenanliegen. Sie will zeigen, dass es möglich ist, einen Beruf und eine Familie zu haben – und dazu auch noch politisch aktiv zu sein.
Und sie will ganz bewusst die italienische Sprache pflegen. So will sie die Sitzungen im Nationalrat auf Italienisch leiten. Sie sieht sich denn auch als Repräsentantin zweier Minderheiten: der Frauen und der italienischen Sprache. Beide will sie stärken.
Akzeptiert auch im bürgerlichen Lager
In den Worten der Carobbios, die im linken Lager der SP politisiert, schwingt Kampfgeist mit. Trotzdem sei die Tessinerin dialogfähig, sagt ihre Kollegin Ruth Humbel (CVP) aus der Gesundheitskommission. «Sie ist eine Frau, mit der man gut diskutieren kann, die sich auch auf andere einlässt. Marina Carobbio ist eine sehr kooperative Kollegin.»
Auch von Seiten der FDP gibt es lobende Worte: «Ich schätze ihre Kompetenz. Es ist wertvoll, eine Ärztin in der Gesundheitskommission zu haben», sagt die freisinnige Nationalrätin Regine Sauter. Politisch sei sie zwar nicht immer einer Meinung mit Carobbio. Doch: «Dass sie ihre Argumente inhaltlich gut ausleuchten kann, schätze ich sehr.»
Ebenso sieht Sebastian Frehner von der SVP positive Seiten an Carobbio: «Sie vertritt sehr linke Positionen», sagt er. «Doch sie ist vom Umgang her eben sehr angenehm.»
Stark von der Mutter geprägt
Carobbios Bemühen, andere verstehen zu wollen, kommt gut an. Diese Eigenschaft habe ihre Mutter stark gefördert, sagt sie. Ihre Mutter sei Teil der Frauenbewegung gewesen, auch das habe sie stark geprägt. «Ich bin froh, dass ich auch einmal über meine Mutter sprechen kann», fügt sie an. Sonst wollten immer nur alle mit ihr über ihren Vater sprechen, der ebenfalls für die Sozialdemokraten im Nationalrat sass.
Carobbio blickt durchs Dachfenster zum Gipfel des Berges, wo ihre Eltern ein Rustico hatten. Dort oben liebt sie es zu wandern. Im nächsten Jahr wird sie dafür wenig Zeit haben.