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Medizin oder Droge? «Cannabis gehört in die Apotheke»

Cannabis ist wegen seiner berauschenden Wirkung verboten. Doch es macht nicht nur «high», es kann auch Schmerzen lindern, Krämpfe lösen. Und: Forscher stossen auf neue medizinische Anwendungsmöglichkeiten. Allerdings: In Schweizer Apotheken sind Cannabis-Medikamente kaum zu finden.

SRF News: Rudolf Brenneisen, Sie sagen, dass Cannabis in die Apotheke gehört. Wie müssen wir das verstehen?

Rudolf Brenneisen: Es ist für mich unhaltbar, wenn Patienten, die sich selbst therapieren wollen, ihr Medikament auf der Strasse holen müssen, weil die Regulation es nicht anders ermöglicht.

Cannabis ist ein pharmakologisch hochaktives Pflanzenmaterial und gehört in die Hände von Fachleuten. Das sind der Arzt und der Apotheker.

Welches Potential hat die Pflanze als Medikament?

Zur Person

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Rudolf Brenneisen ist emeritierter Pharmazie-Professor an der Uni Bern und Leiter der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin. Er gilt als einer der führenden Köpfe der Cannabisforschung in der Schweiz und kämpft seit vielen Jahren für die Anerkennung von Cannabis als Heilmittel.

Patienten berichten über verschiedenen Wirkungen, manche sehen es als die «letzte Rettung». Viele dieser Behauptungen sind von der Schulmedizin nicht belegt. Hier haben wir ein Spannungsfeld zwischen dem, was die Patienten berichten und dem, was die Schulmedizin und letztlich auch die Zulassungsbehörden akzeptieren.

In der Schweiz als Form eines Präparates akzeptiert und zugelassen ist nur die Linderung bei Muskelschmerzen oder – Krämpfen zum Beispiel bei Multipler Sklerose (MS) und bei der Reduktion der Nebenwirkungen bei Chemo- und Strahlentherapie und gewisse Schmerzzuständen.

Wenn man sich heute in der Schweiz in einer Apotheke umsieht, dann wird man ausser einem Mundspray kein Cannabis-Medikament finden. In Deutschland oder den Niederlanden ist das anders.

Was wir brauchen – und was Deutschland realisiert hat – ist, dass Cannabisblüten in der Apotheke zugänglich sind. Nur: Die Natur ist variabel. Ein Medikament muss eine konstante Dosis haben.

Der Patient braucht eine konstante Dosierung.

Aber wir haben selber gemessen, dass sogar innerhalb der gleichen Pflanze die Konzentration und die Chemie variieren kann. Und das will man beim Patienten nicht. Er braucht eine konstante Dosierung.

Cannabisblüten in Döschen.
Legende: In den Niederlanden erlaubt: Medizinale Cannabisblüten aus der Apotheke. Reuters

Hinkt die Schweiz bei der Zulassung also hinterher, weil man dem Kraut nicht ganz traut?

Die absurde Situation hier ist ja, dass wir das Kraut in welcher Form auch immer am Kiosk und beim Grossverteiler haben.

Sie meinen die CBD-Zigaretten.

Ja. Aber diese enthalten auch THC. Denn dieses 1 Prozent – mit all seinen Vor- und Nachteilen – bringt man nicht weg. Und bis diese Blüten in therapeutisch sinnvollen Konzentrationen in den Apotheken verkauft werden, braucht es noch viel Überzeugungskraft. Und es braucht auch klinische Studien.

Und diese gibt es in der Schweiz praktisch nicht. Sie haben einmal gesagt, dass das dazu führt, dass Ärzte in ein Cannabis-Dilemma geraten. Was meinen Sie damit?

Da ist der Patient, der sich im Internet oder über Mund-zu-Mund-Propaganda informiert und sein neurologisches Leiden mit dem Medikament von der Strasse therapiert. Er hat dabei hoffentlich auch Erfolge damit. Er geht dann sinnvollerweise zu seinem Hausarzt oder Neurologen und konfrontiert ihn damit. Vielleicht setzt er ihn auch unter Druck. Und dieser schaut dann im Schulbuch nach und sagt dann «das ist nicht belegt» und «ich kann die Verantwortung nicht übernehmen».

Wir haben also die Erfahrungsmedizin und dann eben das, was belegt und akzeptiert ist von den Zulassungsbehörden, die evidenzbasierte Medizin. Diese Kluft gilt es zu schliessen.

Warum wird nicht mehr geforscht?

Es gibt Pilotstudien mit einer kleinen Anzahl von Patienten. Aber die grossen Studien können nicht an den Universitäten durchgeführt werden. Diese muss die Industrie finanzieren. Und für die Pharmaindustrie spielt wohl eine Rolle, dass die Pflanze nicht patentiert werden kann. Es gibt aber neue Applikationsformen oder synthetische Stoffe, die man patentieren kann.

Und dann spielt sicher die Stigmatisierung eine Rolle. Salopp gesagt: Forschen mit einer Kiffer-Droge, die ein Medikament werden soll – da bestehen noch gewisse Vorbehalte.

Mutter flösst einem Mädchen mit Spritze Medikament in den Mund.
Legende: Epilepsie bei Kindern: Dieses mexikanische Mädchen erhält ein Cannabis-Medikament gegen Krämpfe. Reuters

Hat Cannabis als Medikament auch Schattenseiten?

Cannabis ist nicht ein Wunderheilmittel, so wie es viele Patienten hochstilisieren. Cannabis wird zum Beispiel in der Schmerzwirkung nicht Morphin ersetzen, aber es ergänzen.

Cannabis hat dort Chancen, wo es ein Nischenplayer ist.

Cannabis hat aber dort Chancen, wo es ein Nischenplayer ist. Es gibt Krankheiten wie zum Beispiel die schwerste kindliche Form der Epilepsie, bei der alle Medikamente versagt haben.

Wann können wir Cannabismedikamente in der Apotheke kaufen?

Lieber gestern als morgen.

Das Gespräch führte Markus Föhn.

THC und CBD, wo liegt der Unterschied?

Bisher wurden mehr als 100 Cannabinoide in der Hanfpflanze entdeckt, darunter das Tetra-Hydrocannabinol (THC) und Cannabadidiol (CBD).
THC ist der bekannteste Wirkstoff, er ist derjenige, der am psychoaktivsten ist. THC macht «high». Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von über 1 Prozent sind in der Schweiz verboten.
CBD ist der am zweitmeisten vorkommende Stoff in der Cannabispflanze. Ihm werden medizinische Eigenschaften zugesprochen. CBD ist nicht psychoaktiv, der Kopf bleibt klar. Seit August 2016 sind CBD-Produkte mit weniger als 1 Prozent THC in der Schweiz legal.

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