Anfang Juni, wenige Tage nach dem Felssturz von Blatten, ist auch im Val de Bagnes der Berg ins Rutschen gekommen. Seither ist die einzige Strasse ins 400-Seelendorf Lourtier unpassierbar.
Und so hat, wer in Lourtier Lebensmittel braucht, derzeit nur eine Möglichkeit: «Chez Edith», den einzigen Laden im Dorf. Dort tauscht man sich aus.
«Ich fühle mich isoliert. Man muss aufpassen, dass man nicht krank wird, sonst hat man rasch ein Problem», sagt Rentnerin Charlotte Lager zur Situation von Lourtier.
Wenn das Geröll gleich neben dem Haus ins Tal donnert
Ein richtig grosses Problem hatte in den letzten Wochen Sébastien Fellay: «Die Murgänge sind unmittelbar neben meinem Haus ins Tal gedonnert. Es war laut und das Haus hat gewackelt.» Für zwei Wochen musste Fellay sein Zuhause verlassen.
Dieses Jahr dürfte es im Val de Bagnes keine grösseren Murgänge mehr geben, sagen die Geologen. Doch sie rechnen damit, dass es nächstes Jahr weitergeht.
Allerdings hoffen alle, dass es bis nächstes Jahr eine Zufahrt nach Lourtier gibt, die auch bei weiteren Murgängen offen bleibt.
Die lokale Wirtschaft leidet nämlich darunter, bereits zum zweiten Mal nacheinander in der Sommersaison von der Aussenwelt abgeschnitten zu sein.
Die Stornierungen sind deprimierend.
Léane Bruchez führt zusammen mit ihrem Partner das «La Vallée», das einzige Restaurant im Dorf.
Bereits im letzten Sommer, als die Zufahrtsstrasse fast zwei Monate geschlossen war, seien sie nur knapp über die Runden gekommen. Und nun hagle es schon wieder Absagen. «Das ist deprimierend. Und wir wissen nicht, was noch kommt.»
Vorwürfe an die Behörden
War man in Lourtier nach den Murgängen vor einem Jahr noch schicksalsergeben, gab es dieses Jahr auch wütende Stimmen. In einer Petition warfen rund hundert Einwohnerinnen und Einwohner den Behörden vor, sie hätten zu wenig gemacht, um den Zugang zum Dorf zu garantieren.
Die Petition ist ein heikles Thema im Dorf. Wirtin Bruchez will sich nicht dazu äussern. Aber ja, es sei für alle schwierig gewesen, dass die Notbrücke, die man letztes Jahr im Tal installiert hatte, nicht gehalten habe.
Vielleicht waren nicht alle Entscheidungen ideal.
Ein halbes Dutzend Bagger räumt unten im Tal Geröll weg. «Hier wird alles vorbereitet für die Armee», erklärt Fabien Sauthier, der Gemeindepräsident des Val de Bagnes.
Soldaten werden hier eine neue Notbrücke bauen. Zusätzlich ist eine Notstrasse geplant, die den Zugang zu Lourtier auch dann sicherstellen soll, wenn in den nächsten Jahren noch mehr Gestein den Berg herunterkommt.
Unsicherheit wird bleiben
Hätte man das nicht früher machen sollen? «Vielleicht gab es Entscheidungen, die sich im Nachhinein als nicht ideal herausgestellt haben», sagt der Gemeindepräsident. Aber man könne nicht von Fehlern sprechen. Niemand habe gewusst, was genau den Berg herunterkomme.
Diese Unsicherheit wird Lourtier und viele andere Dörfer in den Bergen auch künftig begleiten. Das macht Angst. Das macht wütend. Und doch: Letztlich gehen hier im Val de Bagnes die meisten damit so um wie Rentnerin Charlotte: «Das ist halt die Natur. Damit muss man leben.»