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Nach der CO2-Abstimmung Gesucht: Der Stadt-Land-Graben

Das Bild von der Landschaft mit einem Graben, der das konservative Land von der progressiven Stadt trennt, greift zu kurz.

Nur schon diese zwei Zahlen machen einen stutzig: 16 Prozent der Schweizer Bevölkerung wohnt auf dem Land, etwa 25 Prozent in der Stadt. Und der grosse Rest, die Mehrheit? Im Gebiet dazwischen. Das heisst Agglomeration und ist – immer laut offizieller Statistik des zuständigen Bundesamts – der Wohnort von rund 60 Prozent der Bevölkerung.

Fliessende Grenzen

Wenn es einen klaren Stadt-Land-Graben gibt, muss er wohl in diesem Zwischen-Gebiet sein. Zum Beispiel irgendwo auf dem Gebiet der Nachbar-Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft, die den Gegensatz in ihren Namen tragen. Die beiden Kantone haben erwartungsgemäss dem gemeinhin beobachteten Stadt-Land-Gegensatz entlang gestimmt: Basel-Stadt klar für das CO2-Gesetz mit Zweidrittelsmehr, der bevölkerungsreichere Kanton Basel-Landschaft lehnte ab mit 53 Prozent Nein-Stimmen.

Im Vordergrund sieht man eine Wiese und einen Zaun, im Hintergrund ragt die Stadt empor.
Legende: Irgendwo hier müsste der Graben sein – zwischen der Gemeinde Binningen (BL) und der Stadt Basel. Keystone

Aber bei näherem Hinsehen ist die Realität komplexer. Für die Politikwissenschafterin Alina Zumbrunn lässt sich an der Region Basel gut zeigen, dass sich der Stadt-Land-Graben, vor allem, wenn man ihn über eine längere Zeit beobachtet, nicht einfach als eine Linie zeichnen lässt.

«Ein Graben mag klar zu erkennen sein, wenn man ein Bergdorf mit einer Grossstadt vergleicht. Aber in einem für die Schweiz typischen Gebiet wie dem Kanton Basel-Landschaft, das zu einem grossen Teil aus Agglomeration besteht, verwischen sich die Grenzen.» Zumbrunn doktoriert an der Uni Bern über Agglomerationsgemeinden im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts zum Thema «Stadt-Land».

Agglo nicht gleich Agglo

Die sich verwischenden Grenzen zeigen sich zum Beispiel in unmittelbarer Stadtnähe. Die Kantonsgrenze, gezogen 1833, ist offensichtlich nicht mehr die Stadt-Land-Grenze. Ein Teil der Gemeinden in diesem engsten Agglo-Gürtel tickt politisch anders als die Stadt. Pratteln zum Beispiel, mit seinen 16'000 Einwohnerinnen und Einwohnern und einem relativ hohen Ausländeranteil, sagte Nein zum CO2-Gesetz.

Andere Gemeinden in dieser Region haben eine andere Sozialstruktur. In Arlesheim zum Beispiel ist das Durchschnittseinkommen um einiges höher als in Pratteln und der Ausländeranteil tiefer. Und Arlesheim hat wie die Stadt gestimmt und mit knapp 60 Prozent der Stimmen Ja gesagt zum CO-2-Gesetz.

Agglo sei eben nicht gleich Agglo, sagt Politologin Zumbrunn. «Das ist kein homogenes Gebilde. An einem Ort leben Leute, die sich ein Einfamilienhaus leisten können und darum aus der Stadt ziehen. An einem anderen Ort solche, die in einem Block wohnen, weil sie sich das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können». Und manchmal gibt es auch beides in ein und derselben Agglo-Gemeinde.

Ich sehe keinen Stadt-Land-Graben, sondern vielmehr einen sozialen Graben.
Autor: Samira Marti Nationalrätin (SP), Basel-Landschaft

Solche Beobachtungen bestätigt die Baselbieter SP-Nationalrätin Samira Marti in ihrer Analyse der vergangenen Abstimmung. Sie sieht hinter dem Nein zum CO2-Gesetz weniger einen Stadt-Land-Graben: «Ich sehe hier eher das Portemonnaie als Grund. Der ‹Speck-Gürtel› um die Stadt mit vielen reichen Leuten aber auch vielen FDP und SP-Wählerinnen und Wählern, sagte Ja. Dort, wo die Mieten aber auch die Löhne tiefer sind, sagten die Leute Nein.»

Es kommt auf die ganz spezifische Zusammensetzung der Bevölkerung in einem Dorf an.
Autor: Maya Graf Ständerätin (Grüne), Basel-Landschaft

Auch ihre Kollegin aus dem Ständerat, die Grüne Maya Graf, glaubt nicht an einen Stadt-Land-Graben im Sinne einer klaren Linie. Graf stammt aus Sissach, und wohnt auch heute noch in diesem grossen Dorf auf dem Land, das auch ein Regionalzentrum ist im Oberbaselbiet. Sissach hat seit Jahren viele grüne Wähler und hat Ja gestimmt zum CO2-Gesetz, der ganze Bezirk hat aber deutlich Nein gesagt. «Sissach ist ein gutes Beispiel, dass es auch auf die Konstellation, auf die spezifische Zusammensetzung der Bevölkerung in einem Dorf ankommt», sagt Graf.

Wer betroffen ist von einer Abstimmung, geht halt eher an die Urne.
Autor: Thomas de Courten Nationalrat (SVP), Basel-Landschaft

In so einem Dorf im Bezirk Sissach wohnt SVP-Nationalrat Thomas de Courten. Rünenberg hat dem CO2-Gesetz eine deutliche Absage erteilt. Aber auch de Courten möchte nicht einem unüberwindbaren Stadt-Land Graben das Wort reden. Während seine SVP seit dem 13. Juni diesen Graben als parteipolitisches Thema entdeckt hat, erkennt de Courten in seiner Region einen solchen Konflikt nicht. Vielmehr erinnert er an die besondere Konstellation am vergangenen Abstimmungssonntag mit den beiden Landwirtschafts-Initiativen: «Die Landbevölkerung war an diesem Sonntag doppelt betroffen – von den Initiativen, aber auch vom CO2-Gesetz. Und wenn man betroffen ist, geht man auch eher an die Urne.»

Mobilisierungseffekte entscheiden

Mobilisierungseffekte nennt das die Wissenschaft und von solchen Effekten spricht auch Alina Zumbrunn. Sie führten dazu, dass sich die Gewichte zwischen Stadt, Land und Agglo immer wieder verschöben. «Wird die Landbevölkerung wegen einer bestimmten Vorlage mobilisiert, hat das auch Auswirkungen auf die anderen Abstimmungsergebnisse. So kann es sein, dass ein Gesetz oder eine Initiative vielleicht an einem anderen Abstimmungssonntag ein anderes Ergebnis erzielt hätte.»

Die Städte, das Land und dazwischen die heterogene Agglomeration führen dazu, dass sich bei Abstimmungen ab und zu ein gewisser Stadt-Land-Gegensatz zeigt, dass aber dieser Graben nicht immer nach dem gleichen Muster verläuft. Forschungen zeigen zudem, dass die politischen Einstellungen in den verschiedenen Siedlungsgebieten nicht weiter auseinanderdriften.

«Seit den Neunzigerjahren entwickeln sich diese Einstellungen parallel – davor hatten die Unterschiede zugenommen», so Alina Zumbrunn. Entscheidend sei aber vor allem eines, so die Politologin: «Bei den Urnengängen finden sich nicht immer die gleichen Regionen auf der Gewinnerseite. Und so lange das so bleibt, sind diese Gräben nicht wirklich schlimm oder gar eine Bedrohung für unsere Demokratie.»

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