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Neue Shoppingmall in Ebikon Passen die Konsumtempel noch in unsere Zeit?

Am Mittwoch eröffnet das neuste Shoppingcenter der Schweiz. Ein Auslaufmodell? Die Branche steckt in der Krise.

Am Mittwoch öffnet in Ebikon/LU die «Mall of Switzerland»: Sie ist mit 65'000 Quadratmetern flächenmässig das zweitgrösste Einkaufszentrum der Schweiz nach dem Shoppi Tivoli in Spreitenbach. Finanziert wird es von einem Investmentfonds aus Abu Dhabi. Eine halbe Milliarde Franken gibt das arabische Emirat am persischen Golf dafür aus. Von den angekündigten 120 bis 150 Läden sind zwei Tage vor der Eröffnung noch rund 30 nicht vermietet.

Das erstaunt nicht. Die «Mall of Switzerland» öffnet in einer Zeit, in der die Umsatzzahlen der grossen Einkaufszentren stark rückgängig sind. In den letzten sechs Jahren haben die 25 grössten Einkaufszentren der Schweiz über eine Milliarde Franken Umsatz verloren. Nur ein Shoppingcenter, das Westside in Bern, konnte seinen Umsatz in dieser Zeit steigern. Enorm ist der Umsatzeinbruch beim umsatzstärksten Einkaufszentrum, dem Glattzentrum, von 670 Millionen auf 600 Millionen, das sind minus 10 Prozent in den letzten sieben Jahren.

Umsatzzahlen Shoppingcenter

Hinzu kommt: Das Durchschnittsalter der 195 Schweizer Einkaufszentren beträgt rund 30 Jahre und ein Grossteil dieser Center wurde noch nie umfassend umgebaut.

Besonders zu schaffen machen den Zentren der Einkaufstourismus und das Online-Shopping. Im letzten Jahr gaben die Schweizerinnen und Schweizer laut Netcomm Suisse 11,2 Milliarden Franken im Internet aus. Das sind 2400 Franken pro Person. Im Ausland kauften sie im selben Zeitraum für rund 10 Mlliarden Franken ein. Pro Einkauf fuhren sie im Schnitt 76 Kilometer weit.

Schlechte Karten für das Shoppincenter Stücki am Basler Dreiländereck. Die Grenze zu Deutschland ist gerade einmal einen Kilometer entfernt. Die Konsequenz: Nach nur acht Jahren verkleinert das Zentrum seine Verkaufsfläche um zwei Drittel auf rund 10'000 Quadratmeter – aus dem Rest wird ein neues Multiplex-Kino.

In den USA hat der Negativtrend bei Shoppingcentern bereits dazu geführt, dass viele Malls schliessen mussten. Es gibt viele sogenannte «Dead Malls», also leerstehende Shoppingmalls. Laut dem Schweizer Shoppingcenter Marktreports erwarten Experten in etwa fünf Jahren eine Leerstandquote in Schweizer Shoppingcentern von bis zu 25 Prozent.

Die Schweiz hat bis jetzt «erst» ein geschlossenes Center, das «Centro Ovale» in Chiasso. 2012 eröffnet, wurde es drei Jahre später bereits wieder geschlossen. Einer der Hauptgründe war die Nähe zu Italien, wo zu viel mit günstigeren Preisen eingekauft werden kann. Bis jetzt sind alle Umnutzungspläne gescheitert. Trotzdem, lange werden allfällige «Dead Malls» hier wohl nicht leer stehen, dazu ist der Boden in der Schweiz zu rar und zu teuer.

Im Interview erklärt Fabian Furter, Architekturhistoriker und Autor des Buches «Zwischen Konsumtempel und Dorfplatz», woher die Idee des Shoppingcenters stammt und ob ein solcher Konsumtempel noch ins Zeitalter des Online-Shoppings und Einkaufstourismus passt.

SRF News: Vor 50 Jahren ging in Luzern das erste Shoppingcenter der Schweiz auf. Viele Ladenbesitzer fürchteten sich damals. Zu Recht?

Fabian Furter: Ja, absolut. Es gibt massenweise Beispiele, wie solche Quartierläden wegen des Wandel zugrunde gingen. Viele erkannten die Zeichen der Zeit und mieteten sich in die Einkaufszentren ein. Andere verloren ihre Daseinsberechtigung. Bekanntestes Beispiel: Anfangs der 70er-Jahre gingen in Spreitenbach-Killwangen sämtliche Quartierläden zu, als das Einkaufszentrum Shoppi Tivoli Spreitenbach eröffnet wurde.

Wieso wurde das erste Shoppingcenter der Schweiz ausgerechnet in Luzern eröffnet?

In Luzern wurde zwar 1967 das erste Zentrum eröffnet, geplant waren solche Shoppingcenter aber schon viel länger. Die Planungsgeschichte des Glattzentrums in Wallisellen geht in das Jahr 1960 zurück. In Spreitenbach begann die Planung 1962.

Das Zentrum Schönbühl in Luzern war mit 6700 Quadratmetern verhältnismässig klein und daher schnell zu realisieren. Das ist der Grund, weshalb es zuerst gebaut wurde.

Für ein Einkaufszentrum ist der Standort des Schönbühl-Shoppingcenters aber nicht typisch. Es ist mehr ein Quartierzentrum. Die Standorte der ganz grossen Zentren lassen sich ganz einfach am sich damals im Bau befindenden Autobahn-Netz ablesen. Da wurde ganz bewusst an den grossen Aus- und Einfahrten gebaut, etwa in Wallisellen, Sargans, Pfäffikon, St. Margrethen oder Mendrisiotto.

Wem gehören all diese Shoppingmalls?

Heute gehört etwa die Hälfte der 195 Schweizer Shoppingcenter den bekannten Grossisten, also Migros, Manor und Coop. Ansonsten ist die Investorenstruktur sehr unterschiedlich, da kommen Pensionskassen oder Stiftungen dazu, also auch detailhandelsferne Geldgeber, die nach Investitionsmöglichkeiten suchen.

Aus welcher Zeit stammt die Idee der Einkaufszentren?

Es gibt einen sogenannten Vater des Shoppingcenters, das ist Viktor Gruen. Er war ein jüdischer-österreichischer Architekt, der vor dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika geflüchtet war. Er hat während des Krieges als junger Architekt in einer Zeitschrift im Jahre 1943 dargelegt, wie er sich das Einkaufen nach dem Krieg vorstellte. Er ärgerte sich schon damals – in den 1940er-Jahren – über den Verkehr, die Unannehmlichkeiten, die das Einkaufen beeinträchtigten und schlug deshalb eine sogenannte «Shoppingtown» vor. Einen Ort, an dem man sich auf das Konsumieren konzentriert und das Auto draussen lässt. Aber nicht nur das – und das ist wichtig – es sollte auch kulturelle Möglichkeiten geben, Möglichkeiten des sozialen Austauschs. Sinnigerweise hat so ein Europäer die Idee entwickelt, die dann später als Paradebeispiel der USA galt, als sie in den 1960er-, 1970er-Jahren zurück nach Europa kam.

Was gehört denn zu einem richtigen Shoppingcenter?

Für Gruen waren es einerseits die kommerziellen Aspekte, aber er sah eben auch andere öffentliche Nutzungen, die nicht vom Konsum-Zwang beherrscht werden sollten. Seine ersten Projekte beinhalteten etwa Begegnungszonen, Kindergärten, Skulptur-Pärke, Streichelzoos oder Veranstaltungssäle.

Das kommt uns heute ganz normal vor, weil wir uns daran gewöhnt haben. Was war das dann für eine Zeit?

In der Nachkriegszeit wuchs eine Generation heran, die nichts anderes kannte als den Aufschwung. Zum ersten Mal überhaupt entstand so eine Konsumgesellschaft. Das Einkaufen war nicht mehr bloss eine Bedürfnisbefriedigung, sondern eine Art Erlebnis. In diese Zeit passten solche Konsumtempel natürlich perfekt hinein.

Und heute? Am Mittwoch eröffnet das zweitgrösste Shoppingcenter in der Schweiz, die «Mall of Switzerland» . Passt ein solches Einkaufszentrum noch ins Zeitalter des Internets und des Einkaufstourismus?

Die ganze Branche leidet seit etwa sieben Jahren massiv. Auch in nächster Zeit werden sich die Verkaufsflächen eher reduzieren, obwohl die Einwohnerzahl der Schweiz steigt. Das heisst, es wird einen harten Verdrängungskampf geben. Die «Mall of Switzerland» hat hier eine Chance, weil sie aufgrund ihrer Stärke ganz oben einsteigt. Sie wird den Druck abwälzen, und zwar auf die anderen Einkaufszentren der Zentralschweiz. Es gibt sieben bis zehn mittlere und grosse Zentren in der näheren Umgebung. Trotzdem, mit der Planung der Mall wurde 2001 begonnen, da herrschte noch eine andere Euphorie. Ich kann mir gut vorstellen, dass man sich das heute anders überlegen würde. Und daher versucht man, die Mall mit zusätzlichen Angeboten zu einem Erlebnisort zu machen, an dem die Menschen einen Teil ihres Lebens verbringen. Das nennt man dann «Third Place» oder «Urban Entertainment»-Center.

Was würde Gründungsvater Gruen dazu denken?

Man könnte denken, man komme wieder zurück zur Ursprungsidee von Gruen. Dieser hat ja gesagt, dass die Malls ein Ort der Begegnung ohne Konsumzwang sein sollen. Man muss aber ehrlicherweise sagen: Die Kinos, die stehende Welle, auf der man surfen kann und die verschiedenen Events dienen schlussendlich nur dazu, den Konsum anzutreiben. Es sind also Katalysatoren des Konsums.

Die Entwicklung geht weiter, die Post will Roboter einsetzen, Amazon will mit Drohnen liefern. Wie geht man damit um?

Die «Mall of Switzerland» bietet verschiedenen Dienstleistungen. So ist die Mall zum Beispiel mit der Post eine Kooperation eingegangen, um Einkäufe direkt nach Hause zu liefern. Ich bin da aber skeptisch, ich weiss nicht, ob das die grosse Masse anspricht. Wenn ich als Konsument am Samstag in ein Shoppingcenter gehe, dann will ich meine Einkäufe doch direkt nach Hause nehmen und nicht warten, bis diese am Montag geliefert werden. Aber es wird sich zeigen, wohin dieser Trend führt.

Der Gruen-Effekt

Shoppingcenter sind darauf ausgelegt, uns zu Impulskäufen zu verleiten. Wenn man sich eigentlich vornimmt, ein Joghurt zu kaufen, schliesslich aber mit einer neuen Lampe nach Hause kommt, ist das nur bedingt der eigene Fehler. Mit verlockendem Design, dem Licht, der Musik oder der schieren Vielzahl der Waren wird der Konsument zum Einkaufen verführt. Auch die Lage der Läden in einem Shoppingcenter ist nicht zufällig gewählt. Meist wird eine geschlossene Ladenstrasse konzipiert, die zu beiden Enden einen grossen Ankermieter hat, etwa Coop oder Migros. Die Ankermieter veranlassen die Konsumenten automatisch dazu, hin- und her zu pendeln. Davon profitieren die kleinen Läden dazwischen. Man spricht vom Gruen-Effekt, wenn man eigentlich gezielt in die Migros will, schliesslich aber noch in ganz anderen Filialen einkaufen geht.

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