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Einbürgerungsdschungel Schweiz Schweizermachen – fast so vielfältig wie das Ortslexikon

Nirgendwo findet die Einbürgerung näher an der Graswurzel statt. So urteilen gar Nachbargemeinden oft unterschiedlich.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Schweiz kennt keine einheitliche Einbürgerungspraxis. Je nach Gemeinde entscheiden Ortspolitiker in Kommissionen oder das Volk an der Gemeindeversammlung.
  • Entsprechend unterschiedlich und von lokalen Gepflogenzeiten und Wertvorstellungen geprägt wird denn auch das entscheidende Kriterium «Integration» ausgelegt.
  • 2018 tritt das revidierte Einbürgerungsrecht in Kraft, das die Integration etwas klarer umschreibt. Auch einige Kantone planen etwas einheitlichere Einbürgerungsverfahren.
  • Die Idee, künftig auf Einbürgerungsgespräche zu verzichten, wäre politisch wohl chancenlos. Der Fall Buchs hat aber die Problematik solcher Gespräche exemplarisch aufgezeigt.

Der Politik-Wissenschafter Marc Helbling hat Einbürgerungen in über 100 Gemeinden untersucht. Er kommt zum Schluss, dass sich eine Art «lokales Staatsbürgerverständnis» herausgebildet hat. So habe jede Gemeinde eine gewisse Vorstellung davon, was es bedeutet, Schweizerin oder Schweizer zu sein. Diese Vorstellung könne sehr unterschiedlich sein, selbst zwischen Nachbargemeinden.

Jede Gemeinde hat eine gewisse Vorstellung davon, was es bedeutet, Schweizerin oder Schweizer zu sein.
Autor: Marc Helbling Professor für Politologie, Universität Bamberg

Fragen, wie sie die Buchser Behörden an eine junge Türkin stellten, etwa zum örtlichen Hundetraining, zum Entsorgen von Altöl oder zu Läden im Dorfzentrum, seien ihm bei seiner Studie vor rund zehn Jahren regelmässig begegnet, sagt Helbling.

Wenig überrascht vom Fall Buchs ist auch Stefanie Kurt, die als Juristin an der Universität Neuenburg zum Thema Einbürgerung forscht: Das Bundesgericht setze zwar Leitplanken – etwa mit dem Entscheid, dass ein Kopftuch nicht zwingend ein Zeichen fehlender Integration sei, erklärt sie.

Trotzdem hänge viel ab vom Weltbild, von den Erfahrungen, aber auch von den politischen Einstellungen der Menschen in den Einbürgerungsgremien ab. Diese hätten immer einen unterschiedlichen «Rucksack». Entsprechend vielfältig seien die Auslegungen, so Kurt.

Je nach dem, wo eine Person ein Gesuch stellt, wird die Überprüfung der Integration anders gehandhabt.
Autor: Stefanie Kurt Juristin, Universität Neuenburg

Die «Einbürgerung an sich»

Je nach Gemeinde deuten die Schweizermacher die «Einbürgerung an sich» auch unterschiedlich, wie Politologe Helbling ergänzt: Manchen gehe es um das Schweizer Bürgerrecht an sich. Andere wiederum konzentrierten sich stark auf das Gemeindebürgerrecht, das mit der Einbürgerung automatisch mitverliehen wird.

Das führt laut Helbling dazu, dass unterschiedliche Aspekte wichtig werden. Etwa die Zugehörigkeit zu einem lokalen Verein, das gesprochene Schweizerdeutsch oder die Zahl der Freunde im Ort. Ebenso die Frage, ob Wissen über die Geschichte der Gemeinde und des Kantons wichtig ist, oder ob es genügt, die Geschichte der Schweiz zu kennen.

Bringt das revidierte Einbürgerungsrecht mehr Klarheit?

Die Gemeinden haben Spielraum beim Einbürgern und nutzen ihn auch. Der Kanton Aargau etwa gibt seinen Gemeinden lediglich Ratschläge für das Einbürgerungsgespräch. Man solle kein unnötiges Detailwissen abfragen und keine suggestiven Fragen stellen, wird empfohlen.

Nächstes Jahr tritt gesamtschweizerisch eine Revision des Einbürgerungsrechts in Kraft. Sie bringt etwas klarere Kriterien, wann ein Ausländer integriert ist: Von Kontakten zu Schweizern ist die Rede, aber auch von der Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.

«Die Gemeinden werden aber auch die neuen Kriterien unterschiedlich auslegen, vermutet Forscherin Kurt. Sie stellt die Einbürgerungsgespräche an sich in Frage. Denn mit der kommenden Revision können sich nur noch Ausländer mit einer Niederlassungsbewilligung einbürgern lassen. Menschen also, die bereits bewiesen hätten, dass sie integriert seien.

Es wäre auch ein Zeichen des Vertrauens vom Staat, dass das hier nicht nochmals geprüft wird.
Autor: Stefanie Kurt Juristin, Universität Neuenburg

«Personen, die seit zehn bis 15 Jahren in der Schweiz leben, haben ganz sicher Kontakte, vielleicht nicht im Dorf selbst, aber im Nachbardorf», betont Kurt. Nach ihren Worten wäre der Verzicht auf eine zusätzliche Prüfung auch ein «Zeichen des Vertrauens vom Staat».

Audio
Das grosse Durcheinander bei den Einbürgerungskriterien
aus Echo der Zeit vom 21.07.2017. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 56 Sekunden.

Es tut sich trotzdem was

Der Verzicht auf Einbürgerungsgespräche wäre politisch heute wohl chancenlos. Im Kleinen bewegt sich aber etwas. So will der Kanton Aargau im Hinblick auf die Revision die Gemeinden stärker anleiten. Man werde näher beleuchten, was bei solchen Gesprächen speziell zu beachten ist, erklärt Andreas Bamert von der zuständigen Abteilung. Es gehe nicht um einen weiteren Staatskundetest, der im Kanton Aargau schriftlich ist, sondern um ein Gespräch.

Es geht wirklich darum, das Gespräch auch atmosphärisch als Gespräch zu gestalten.
Autor: Andreas Bamert Leiter Abteilung Register und Personenstand, Kanton Aargau.

Auch der Kanton Zürich arbeitet an einem neuen Leitfaden und Unterlagen für Einbürgerungsgespräche. Es sind Schritte hin zu etwas einheitlicheren Einbürgerungsverfahren. Die Schweiz mit ihren «Einbürgerungen an der Graswurzel» wird aber einzigartig bleiben.

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