SRF News: Herr Sivaganesan, Sie koordinieren die Interessensgruppe 'Gewählte Stimme'. Wer sind Sie?
Rupan Sivaganesan: Wir sind ein Zusammenschluss von Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund. Unsere Mitglieder gehören verschiedenen Fraktionen an, von links bis bürgerlich. Als Gruppe sind wir in der kommunalen, kantonalen und nationalen Politik engagiert.
Was wollen Sie erreichen?
Unser Anliegen ist es, die Themen Migration und Integration auf die Agenda zu bringen. Dabei reichen unsere Ideen über das parteipolitische Programm hinaus. Die Schweiz ist vielfältig, unter anderem auch durch Migration. Vor diesem Hintergrund findet heute Freitag auch unsere Tagung statt zum Thema Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund: Ist die Schweiz bereit?
Also ist ihr oberstes Ziel, Menschen mit Migrationshintergrund in den Naitonal- und Ständerat zu entsenden?
Nicht unbedingt. Obwohl es natürlich schön wäre, wenn wir das schaffen. Aber unsere Absicht ist es, nicht nur Personen zu fördern, sondern auch auf besagte Themen aufmerksam zu machen. Und es ist auch wichtig, dass nicht über Migranten sondern mit Migranten Politik gemacht wird. Bedenken Sie etwa, dass die Bauern mit 13 Prozent im National- und Ständerat vertreten sind. Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund ist acht Mal grösser. Aber sie sind in der Legislative nur ungenügend repräsentiert.
Wer ist verantwortlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund in den beiden Kammern so dürftig vertreten sind?
Eben nicht nur die Wähler. Zwar gibt es die sogenannten Streichkonzerte – den Umstand, dass Wählerinnen und Wähler Menschen mit fremdklingenden Namen kurzerhand von der Liste streichen. In der Pflicht sind aber auch und zunächst die Parteien. Sie müssen Menschen mit Migrationshintergrund fördern.
Die Parteien müssen den Migranten reale Chancen anbieten und sie nicht erst als Alibi-Kandidaten präsentieren, wenn Wahlen anstehen.
Abgesehen davon appelliere ich auch an die Migranten. Sie müssen einen sozialen Leistungsausweis erbringen, um eine Chance auf eine Politkarriere zu haben. Ich etwa habe mich vor meiner politischen Laufbahn schon in der Gesellschaft engagiert.
Bringen Menschen mit Migrationshintergrund auch einen Mehrwert in die Politik? Können Sie etwas, was andere nicht können?
Sie mögen andere Erfahrungen mit einbringen. Für mich steht jedoch der Nutzen-Gedanke nicht im Vordergrund. Wichtiger ist doch, dass wir sehr viele Migranten und Migrantinnen in der Schweiz haben. Warum sollten diese in einem demokratischen System wie der Schweiz nicht wie alle anderen vertreten sein?
Manche Schweizer empfinden Unbehagen darüber, wenn Einwanderer allzu schnell mitentscheiden. Sie könnten ja eine Politik betreiben, die gar nicht im Sinne der Schweiz ist...
Es ist nicht anders, als es beim Frauenstimmrecht war. Auch bei den Migranten gibt es die Vielseitigkeit. Auch Einwanderer haben verschiedene Meinungen und fühlen sich unterschiedlichen Parteien zugehörig. Da können sie nur sehr schwer alle anderen überstimmen.
Was ist für Sie ein 'richtiger Schweizer'?
Ich kann hier eine Rechnung anstellen: Wenn A – die Schweizer – plus B – die Ausländer – A geben sollen, dann ist das Resultat Assimilation. Und dies wäre eine einseitige Angepasstheit. Wenn A plus B AB geben, ist das Ergebnis ein Nebeneinander. Wenn aber A plus B C ergeben, dann ist das Ergebnis für mich eine gelungene Integration und eine vielfältige Schweiz. Die Idee dahinter:
Die Migranten nehmen etwas aus ihrer Heimat mit, bringen dies ein und erschaffen zusammen mit SchweizerInnen etwas Neues.
Also ist die erleichterte Einbürgerung von Personen der dritten Ausländergeneration – die gestern im Ständerat nur knapp reüssierte – für Sie eine Selbstverständlichkeit?
Ein positiver Beschluss würde mich schon froh machen.
Eine letzte Frage noch zu den Migranten im Volk. Stimmt es eigentlich, dass diese sich selbst diskriminieren? Dass Einwanderer, die schon länger in der Schweiz sind, ihre Nachfolger schlechtmachen?
Tatsächlich gehen Diskriminierungen von Ausländer und Ausländerinnen nicht nur von jenen aus, deren Familien seit jeher in der Schweiz leben. Wir beobachten sie auch unter den Migranten. Integration ist eben nicht, wie man immer sagt, gegenseitig. Sie ist vielseitig. In diesem Sinne müssen wir auch konstruktiv-kritische Diskussionen unter Migranten und Migrantinnen fördern, wie beispielsweise bezüglich Hautfarbe und Religionszugehörigkeit. Dennoch erfahren Migranten mehrheitlich Diskriminierungen durch die Mehrheitsgesellschaft.
SRF4 News, 10.9.15, 14 Uhr
Nationalräte, die sich an der Tagung beteiligen
Rosmarie Quadranti (BDP/ZH): Ich beteilige mich, weil die Migranten Menschen sind, die in unserem Land leben und auch entsprechend repräsentiert sein sollen. Eine bessere Vertretung könnten die Wähler gewährleisten. Ob Migranten einen Mehrwert ins Parlament bringen, steht für mich ausser Frage. Wo Ausgewogenheit herrscht, ist immer auch ein Mehrwert zu verzeichnen. |
Fathi Derder (FDP/VD): Ich mache nicht etwa mit, weil ich meine Herkunft in der Politik je als Hemmschuh empfunden hätte. Dies ist nicht der Fall. Aber ich meine dennoch, dass mehr Migranten im Parlament einsitzen könnten. Sie bringen ein wertvolles kulturelles Verständnis mit. Der Ball liegt bei den Parteien. Doch sollen sie frei entscheiden können. Eine Quote lehne ich ab. |
Balthasar Glättli (GPS/ZH): Ich war immer der Meinung, dass wir nicht nur für Migranten Politik machen müssen. Diese sollen die Politik auch selbst ausüben. Das ist der Grund, warum ich mich an der Tagung beteilige. Machen die Einwanderer die Politik selbst, merkt man auch, dass sie nicht alle die gleichen Interessen haben. Ein Engagement, wie es 'Gewählte Stimme' forciert, wirkt also auch Schubladisierungen und Diskriminierungen entgegen. |