Es war kein schlechtes Angebot: Für jeden Teilnehmer des Sponsoring-Laufs versprach die Firma Sanofi Genzyme einen Beitrag an ein Projekt der Multiple Sklerose Gesellschaft. Und so schwitzten die Läufer um die Wette, gestern am Charity-OL in Aarau. Es scheint wie eine Win-Win-Situation. Die Patientenorganisation bekommt mehr Geld für ihre Arbeit, das Unternehmen kann seinen Namen unter den Unterstützern verbreiten, nach dem Motto: Gutes tun und darüber sprechen.
Patientenorganisationen sind die Lobbyisten der Kranken. Professionell aufgestellte Organisationen wie etwa die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft oder die Krebsliga setzen sich für das Wohl der Patienten ein. Sie machen Aufklärungskampagnen, bieten Kurse an und setzen sich mit ihren Mitteln für die Bekämpfung einer spezifischen Krankheit ein. Finanziert werden sie durch Mitgliederbeiträge und Privatspenden.
Und durch Pharmafirmen. Eine Auswertung neuer Daten zeigt zum ersten Mal, wie viel Geld die Pharmaindustrie jährlich investiert, um Patientenorganisationen zu unterstützen. Die Daten stammen von 55 Unternehmen, die sich unter dem neuen Pharma-Kooperations-Kodex verpflichtet haben, geldwerte Zahlungen zu veröffentlichen, und die SRF Data ausgewertet hat.
Schweizer Patientenorganisationen haben im Jahr 2015 demnach rund vier Millionen Franken an Zahlungen von der Pharmaindustrie bekommen. Wie vollständig diese Zahlen sind, lässt sich leider nicht beurteilen, da ein Teil der Empfänger anonymisiert wurden.
Top 10 Schweizer Patientenorganisationen
Patientenorganisation | Gesamtsumme in CHF | Im Jahresbericht deklarierter Ertrag 2015 in CHF | Anteil Pharma-Zahlungen an Jahresertrag |
---|---|---|---|
Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft | 422‘220 | 14'389'481 | 2.9 % |
Schweizerische Herzstiftung | 387‘900 | 7'740'762 | 5 % |
Rheumaliga Schweiz | 275‘070 | 7'352'083 | 3.7 % |
Verein Lunge Zürich | 220‘140 | 12'902'879 | 1.7 % |
Schweizerische Diabetegesellschaft | 159‘030 | 2'227'683 | 7.1 % |
Schweizerische Hämophilie-Gesellschaft | 154‘183 | unbekannt | unbekannt |
Schweizerische Vereinigung Morbus Bechterew | 149‘509 | 1'441'060 | 10.4 % |
Retina Suisse | 100‘400 | unbekannt | unbekannt |
GBS & CIDP Initiative | 94‘137 | unbekannt | unbekannt |
Schweizerische Psoriasis und Vitiligo Gesellschaft | 80‘131 | unbekannt | unbekannt |
Gemäss Daten hat die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft am meisten Geld bekommen – rund 420‘000 Franken an deklarierten Zahlungen. Darunter auch 36'000 Franken von Sanofi, die an Anlässe wie den Welt-MS-Tag oder das MS-Youth-Forum gingen. Die Patientenorganisation wird aber nicht nur am meisten finanziell unterstützt, sie ist auch am transparentesten. Als eine der Einzigen weist sie in ihrem Jahresbericht die Pharmazahlungen detailliert aus. Sie decken sich weitgehend mit den Selbstdeklarationen der Pharmaunternehmen.
Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Patienteninteressen (SAPI) hat eine «Charta zur Wahrung der Glaubwürdigkeit», die finanzielle Unabhängigkeit vorschreibt. Darin steht beispielsweise, dass die Fremdfinanzierung so tief sein soll, dass Aktivitäten auch ohne Sponsor weitergeführt werden könnten.
Bei der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft macht der Pharma-Zustupf knapp drei Prozent des Jahresertrags aus – immerhin fast so viel wie die regulären Einnahmen von ihren Mitgliedern. Trotzdem gilt diese tiefe Quote als unproblematisch.
Problematisches Sponsoring der Pharma
In einem Grundlagenpapier der Schweizerische Akademie für Qualität in der Medizin (SAQM) in der Schweizerischen Ärztezeitung vom 17. Februar 2016 über «unnötige Behandlungen» werden auch Interessenkonflikte und falsche Anreize als Problem der Patientensicherheit behandelt. Darin steht «Produktewerbung bei Ärzten, Sponsoring von Patientenorganisationen, Kampagnen zur Früherkennung und Forschungssubventionen können Ärzte und Patienten beeinflussen.» Sprich: Das Sponsoring beeinträchtige die Patientensicherheit anstatt sie zu fördern.
Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung Patientenschutz, kennt das Problem. Um dieses zu entschärfen, sollen Patientenorganisationen für Transparenz sorgen. Ihre eigene Stiftung erhalte kein Pharma-Geld. «Ich bin der Meinung, dass man genau wissen muss, welche Firmen etwas bezahlt haben und wie die Gelder später verwendet und eingesetzt werden.» Die Multiple Sklerose Gesellschaft tut dies jetzt schon.
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Sendebezug: 10vor10, 17. Oktober 2016
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