Im Jahr 2007 hat der Kanton Tessin noch 2,755 Millionen Logiernächte gezählt. 2012 waren es noch 2,3 Millionen. Die Hotels waren nur zu 45,6 Prozent ausgelastet. Und dies, obwohl es insgesamt weniger Hotels gibt in der Sonnenstube: nämlich 392 im Vergleich zu 451 sechs Jahre zuvor.
Die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) sprechen eine deutliche Sprache. Dennoch: Von einer Krise will der Präsident von Tessin Tourismus, Marco Solari, nichts wissen. «Vielmehr befindet sich der Tessiner Tourismus in einem Wandel», sagt Solari zu SRF News Online.
Nach dem Höhepunkt 1980 geht's bergab
Zwar gingen Hotels zu – dafür würden aber auch viele neue eröffnen, so Marco Solari. Er sieht das Problem im veränderten Verhalten der Touristen. Der Tourismusboom im Tessin habe früh angefangen – nach der Eröffnung des Gotthard-Eisenbahntunnels im Mai 1882. Die Deutschschweizer hätten im Tessin die erste Wärme des Jahres gesucht. Später hätten sie auch entdeckt, was der Kanton im Frühling und Sommer alles zu bieten habe. Erste Hotels seien eröffnet worden.
Nach dem Ersten Weltkrieg wären dann die im Tessin stationierten Deutschschweizer Soldaten mit ihren Familien wiedergekommen. Die seit Kurzem bezahlten Ferien ermöglichten vielen endlich ein paar Tage Urlaub. Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die meisten Familienhotels in die zweite Generation über – was sie noch verkraftet hätten, führt Solari aus.
Doch der Wechsel in die dritte oder vierte Generation sei nicht mehr so einfach zu bewerkstelligen gewesen. «Die Hoteliers mussten ihre Verwandten auszahlen und hatten kein Geld mehr für dringend notwendige Investitionen.» Erste Probleme zeigten sich, noch ohne weitreichende Folgen.
1980 wurde der Gotthard-Strassentunnel eröffnet. Der Tourismus-Höhepunkt für die Sonnenstube, sagt Omar Gisler. Er ist Mediensprecher von Tessin Tourismus. Seither seien die Übernachtungszahlen kontinuierlich rückläufig.
Konkurrenz aus der ganzen Welt
Denn mit dem Ausbau des Strassennetzes in Deutschland, der Schweiz und Italien ist nicht nur das Tessin einfacher erreichbar. Vor allem die Touristen aus den EU-Ländern wie Deutschland oder den Benelux-Staaten machten kaum noch Halt im Tessin: Sie würden aufgrund des teuren Frankens und der Eurokrise lieber ins benachbarte Norditalien reisen. «Wer 1000 Kilometer Auto fährt, fährt auch noch 50 Kilometer weiter», ist Gisler überzeugt.
Die Logiernächte im Tessin seien gesunken – zugunsten benachbarter italienischer Provinzen. Dieses Problem könnte sich laut Gisler mit der Neat noch verstärken. «Wir müssen uns auf diese Entwicklung gefasst machen.»
Hinzu komme die zunehmende Globalisierung, erklärt Marco Solari: Mittelmeerdestinationen wie Mallorca, die Toscana oder gar Ägypten seien seit Beginn der 90er-Jahre via Billigflieger auf einmal ganz einfach zu erreichen. «Plötzlich wurde die ganze Welt zur Konkurrenz des Tessins.»
Natürlich kämen noch Touristen. Aber nicht mehr für zwei Wochen, sondern für durchschnittlich zwei bis drei Tage. «Und in dieser Zeit wollen sie etwas erleben», sagt Solari. Deshalb müsse das Tessin immer wieder etwas Neues präsentieren – Veranstaltungen, Festivals, Konzerte, ausgebaute Wanderwege.
Es werde viel investiert, die Politik interessiere sich für den Tourismus und zahle Subventionen. Deshalb gibt es für Marco Solari keine Krise. Es gebe auch immer wieder neue Veranstaltungen. Die Infrastruktur werde ausgebaut. Mit dem Alpentransit sei man ab 2016 aus Zürich in 1,5 Stunden in der Sonnenstube. Deshalb liege der Fokus des neuen Marketings auch klar wieder auf der Deutschschweiz.
Und hier hat sich der Kanton finanziell nicht lumpen lassen. Laut Omar Gisler sind durch Privatinvestoren und die öffentliche Hand «über eine halbe Milliarde Franken zusammengekommen». Diese sollen die Sonnenstube jetzt vor dem Tourismusherbst bewahren.