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Verlorene Berufs-Kompetenz IV serviert Koch ohne Salzgeschmack ab

Das Wichtigste in Kürze

  • Als Nebenwirkung einer Operation kann ein Koch aus dem Kanton Solothurn Salz nicht mehr richtig schmecken.
  • Die Invalidenversicherung IV findet: Eine Einschränkung in seinem angestammten Beruf sei das nicht – Eine Umschulung sei nicht nötig.
  • Weiter meint die IV: Es sei dem Koch jederzeit möglich, in der sogenannten Systemgastronomie, also zum Beispiel in einer Kantine, wieder eine Stelle zu finden.
  • Verschiedene Vertreter der Gastroszene schütteln den Kopf. Zum Beruf des Kochs gehöre dazu, den Unterschied zwischen fad und versalzen zu erkennen.

Doppelter Schock für einen 35-jährigen Koch aus dem Kanton Solothurn: Wegen schweren Komplikationen nach Gallensteinen müssen ihm die Ärzte im Herbst 2016 die Gallenblase entfernen. Nach der Operation, zurück bei der Arbeit, stellt er fest, dass sein Geschmackssinn gestört ist. «Ich kann seither das Salz nicht mehr richtig schmecken», erzählt er gegenüber dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Das Essen sei in der Regel bereits versalzen, wenn er den Geschmack wahrnehme.

Der Abwascher muss an seiner Stelle vorkosten

Für ihn und seinen Arbeitgeber, ein Lokal in der Aarauer Altstadt, ist klar, dass unter diesen Umständen eine Weiterbeschäftigung keinen Sinn mehr macht. «Ich musste meine Speisen dem Abwascher zum Probieren geben und auf sein Feedback warten», sagt er. Für ihn ist klar: «Ich bin einfach kein Koch mehr.» Nachdem er den ersten Schock verdaut habe, habe er sich in anderen Berufen beworben – ohne Erfolg: «Ich erhielt überall Absagen, weil ich zu wenig Berufserfahrung hätte.»

IV: «Kein Problem»

Für den 35-Jährigen ist klar: Ohne Zweitausbildung kann er beruflich nicht mehr Tritt fassen. Er kann sich dies aber nicht leisten. Das Geld fehlt. Deshalb klopft er bei der Invalidenversicherung (IV) an und beantragt eine Unterstützung für eine Umschulung.

Die IV-Stelle Solothurn will davon aber nichts wissen. Die schriftliche Begründung dazu, die «Espresso» vorliegt, ist mehr als schräg: Der Mann finde trotz seiner Geschmacksstörung jederzeit wieder einen Job als Koch, schreibt die IV. Einfach nicht in der gehobenen Gastronomie, aber in der sogenannten Systemgastronomie.

Unverständnis über den Entscheid

Gemeint sind damit Kantinen, Fast-Food-Restaurants oder Restaurants in Einkaufszentren, dort wo zum Teil vorgefertigte Menu-Komponenten aufgewärmt werden.

Eine kleine Umfrage von «Espresso» zeigt: Auch in diesem Bereich hätte der Mann kaum eine Chance, einen Job zu bekommen. Da man vermehrt frisch koche, sei ein funktionierendes Geschmacksempfinden unerlässlich, heisst es etwa bei der SV Group, die rund 300 Kantinen bekocht oder bei den Verantwortlichen der Migros-Restaurants.

Einzig McDonalds Schweiz schreibt, grundsätzlich habe jeder, der Engagement zeige, eine Chance auf einen Job. Ob sie den betreffenden Koch aber tatsächlich anstellen würde, lässt die Fast-Food-Kette offen.

Bei der Schweizerischen Hotel- und Gastro-Union erntet der IV-Entscheid nur Kopfschütteln. Deren Rechtsberater Stefan Unternährer ist davon überzeugt, dass der Mann als ausgebildeter Koch in einer solchen Situation gemäss IV-Gesetz das Recht auf eine «adäquate Umschulung» hätte. Und eine Degradierung zum Hilfskoch, der nur noch Hamburger wende, sei definitiv nicht adäquat.

In der Schoggifabrik gestrandet

Nach vielen erfolglosen Bewerbungsversuchen hat der Koch übrigens doch noch einen Job gefunden: Er bedient die Apparate in einer Schokoladenfabrik. Keine befriedigende Aufgabe, wie er findet. Interessieren würde ihn die Informatik. Da bringe er einiges Vorwissen mit. Aber eben, für eine Ausbildung reicht das Geld nicht.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Die IV Kanton Solothurn muss sich aber nun nochmals mit dem Fall befassen. Der Koch hat fristgerecht Einwand erhoben, wie er gegenüber «Espresso» sagt. Wegen des laufenden Verfahrens will die IV nicht viel dazu sagen. Nur so viel: Man habe den Mann getestet und bei diesen Tests kein vermindertes Süss-/Salzig-Empfinden festgestellt.

Merkwürdig, denn im schriftlichen Vorbescheid, der nach diesen Abklärungen beim Betroffenen eintraf, ist von «eingeschränkter Salzgeschmacksempfindung» die Rede. Und in einer früheren Einschätzung zuhanden der IV kommt ein Arzt zum Schluss, es liege gar eine «schwere Geschmacksstörung» vor.

Nachtrag, Dezember 2018:

Das Verfahren läuft noch. Der Koch hat sich erneut privat ärztlich testen lassen, die Salz-Geschmacksstörung wird bestätigt. Der entsprechende Bericht soll nun bei der IV eingereicht werden.

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