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Vernachlässigt und verkrüppelt So leiden Reptilien in der Schweiz

Reptilien in Schweizer Haushalten werden oft vernachlässigt. Vermehrt landen Schlangen und Echsen in Auffangstationen. Eine Tierschutzorganisation vermutet eine hohe Dunkelziffer an Straffällen.

«Das Problem ist, dass Reptilien sehr lange leben. Kaum jemand ist mehr bereit, die Verantwortung über eine längere Zeit zu tragen», sagt Silvia Bruderer. Sie führt eine Auffangstation für Reptilien in Heiden AR. Dort nimmt Bruderer Echsen und Schlangen auf, die das kantonale Veterinäramt den Haltern wegnimmt, etwa wenn diese mit den anspruchsvollen Tieren überfordert sind.

Legende: Kümmert sich in ihrer Freizeit um vernachlässigte Reptilien: Silvia Bruderer, Gründerin des «Verein Reptilienauffangstation». SRF

Zudem kauft sie selbst vernachlässigte Reptilien auf Online-Marktplätzen – und von diesen Tieren gebe es viele, sagt sie. Doch der Platz in ihrer Auffangstation wird knapp. Die Anfragen zur Aufnahme von Reptilien hätten in den letzten fünf Jahren zugenommen.

Wie viele Reptilien gibt es in der Schweiz?

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Die Organisation «Schweizer Tierschutz» geht davon aus, dass in rund 130’000 Schweizer Haushalten mindestens ein Reptil lebt. Die Stiftung «Tier im Recht» schätzt, dass in der Schweiz rund 300’000 bis 400’000 Reptilien gehalten werden. Exakte Zahlen gibt es nicht, weil ein Grossteil der Reptilien nicht meldepflichtig ist.

Silvia Bruderer kritisiert: Reptilien würden oft zu leichtfertig angeschafft und Haltungsfehler führten zu schweren Verletzungen. Sie hat schon Leopardgeckos mit Hautkrebs aufgenommen, weil zu heisse UV-Lampen die Haut verbrannt haben. Oder Echsen mit gebrochener Wirbelsäule und schweren Bissverletzungen, weshalb Beine und Schwänze amputiert werden mussten. Sowie Schlangen mit Lungenentzündungen.

«Sobald ein Tier nicht mehr so aussieht, wie es sollte, wollen es Halter oft einfach schnell loswerden», sagt Bruderer. Sie pflegt die verletzten Tiere ehrenamtlich und vermittelt diese – wenn möglich – an neue Besitzerinnen und Besitzer. Ihre Auffangstation ist eigenständig organisiert.

Hälfte der Haltungen nicht artgerecht

Die Organisation «Schweizer Tierschutz» betreibt eigene Auffangstationen. Alleine in diesen werden immer mehr Reptilien platziert. Waren es schweizweit im Jahr 2020 rund 850 Reptilien, wurden im Jahr 2022 bereits über 1100 Reptilien abgegeben. In der Schweiz gibt es gesetzliche Vorschriften zur Reptilienhaltung. Diese sind in der Tierschutzverordnung festgeschrieben. Dort drin steht etwa, wie gross ein Terrarium sein muss und welche Vorschriften Halterinnen und Halter bezüglich Einrichtung einhalten müssen.

Eine Umfrage des «Schweizer Tierschutzes» aus dem Jahr 2020 zeigt: Fast die Hälfte der Reptilienhaltungen ist nicht artgerecht – das heisst, es wurden Hinweise auf mindestens einen Verstoss gegen die Schweizer Tierschutzgesetzgebung festgestellt. Oft seien die Terrarien zu klein oder es wurden Fehler bei der Beleuchtung, der Temperatur oder der Feuchtigkeit im Terrarium gemacht.

Video
Verkrüppelte Reptilien – Warum exotische Tiere in der Schweiz oft leiden
Aus Impact Investigativ vom 18.10.2023.
abspielen. Laufzeit 17 Minuten 56 Sekunden.

Illegale Tierhaltung verschärft das Problem

Bei grossen, gefährlichen oder besonders sensiblen Reptilien gelten zusätzliche Vorschriften. So etwa bei Giftschlangen, Riesenschlangen ab drei Meter, Grossechsen oder Chamäleons. Besitzerinnen und Besitzer dieser Reptilien benötigen eine Haltebewilligung des kantonalen Veterinäramts. Hierfür müssen sie einen Kurs absolvieren.

Diese bewilligungspflichtigen Tiere sind besonders anspruchsvoll in der Haltung und Pflege. Die Gefahr, dass sie falsch gehalten werden, ist dementsprechend gross. Werden solche Tiere illegal gehalten, fällt jegliche Kontrollmöglichkeit weg.

Konsequenzen für Reptilienhalter

SRF Investigativ hatte Einsicht in mehrere Strafbefehle gegen Reptilienhalter der vergangenen Jahre. In einem Fall aus Basel-Stadt hat ein Halter 28 Schlangen gehalten – die meisten davon giftig –, ohne Haltebewilligung. Die Busse betrug 7500 Franken.

In einem anderen Fall aus der Ostschweiz hat das Veterinäramt zwei grosse Tigerpythons beschlagnahmt und den Halter angezeigt. Die Tiere, mehr als 3,5 Meter lang, haben unter schlechten Bedingungen in einem Zimmer seiner Wohnung gelebt. Dort haben sie sich Hautverletzungen zugezogen, vermutlich am Heizkörper. Zudem fehlte eine Haltebewilligung für die Riesenschlangen. Dieses Strafverfahren läuft noch, es gilt die Unschuldsvermutung.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Die Stiftung «Tier im Recht» sammelt solche Strafbefehle in einer Datenbank. Die Juristin Bianca Körner beobachtet bei Reptilien eine konstante Zahl von rund 50 Tierschutzverfahren pro Jahr. Sie sagt: «Im Vergleich zur Anzahl gehaltener Reptilien ist diese Fallzahl relativ gering. Wir gehen davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer von Fällen gibt, die nicht verfolgt werden.»

Legende: Fordert eine konsequente Verfolgung von Tierschutz-Straffällen: Bianca Körner, Juristin bei «Tier im Recht». SRF

Der Grund sei, dass viele Reptilien im Verborgenen gehalten werden und sich nicht wirklich bemerkbar machen können, wenn sie Schmerzen haben. Bianca Körner sieht die kantonalen Veterinärämter in der Pflicht: «Es ist wichtig, dass die Veterinärämter konsequent handeln und Strafanzeige erstatten, wenn sie einen Tierschutzfall entdecken.»

Veterinärämter in der Pflicht?

Kontrollieren die zuständigen Veterinärämter der Kantone zu wenig? Stellvertretend für die Vereinigung der Schweizer Kantonstierärztinnen und Kantonstierärzte äussert sich Regula Vogel vom Zürcher Veterinäramt. Sie ist der Meinung, dass Veterinärämter nicht noch mehr kontrollieren könnten. Weil das bedeuten würde, dass sie von Haustür zu Haustür gehen müssten. «Dafür haben wir die Ressourcen sicher nicht», sagt Regula Vogel.

Legende: Hält zusätzliche Kontrollen für nicht zweckmässig: Regula Vogel, Kantonstierärztin beim Zürcher Veterinäramt. SRF

Zudem hätten die Veterinärämter einen Ermessensspielraum, um nicht jeden Fall zur Anzeige zu bringen, so Vogel. «Die rote Linie setzen wir bei Tierquälerei oder Vernachlässigung.»

SRF hat die häufigsten Fehler bei vier in der Schweiz beliebten Reptilienarten zusammengetragen.

Leopardgeckos sind Schuppenkriechtiere, die vorwiegend auf dem Boden leben. Sie stammen ursprünglich aus den trockenen Regionen Zentralasiens und gehören zu den beliebtesten Hausreptilien. Leopardgeckos können über 40 Jahre alt, bis zu 20 Zentimeter lang und zwischen 50-60 Gramm schwer werden. Es sind nachtaktive Echsen, die sich tagsüber gerne verstecken.

Häufigste Haltungsfehler

Gemäss Reptilienfachleuten sind dies die häufigsten Haltungsfehler:

  • Zu heisse UV-Lampe: Dies kann zu Verbrennungen bis hin zu Hautkrebs führen.
  • Loser Sand anstelle von festem Lehmsand als Terrariumboden: Der Sand wird mitgefressen, sammelt sich im Magen an und kann zu einem Darmverschluss führen.
  • Männchen, die im selben Terrarium gehalten werden: Dies führt zu Territorialkämpfen. Entsprechende Bissverletzungen können für Leopardgeckos tödlich enden.
  • Fehlende oder zu kleine Feuchtbox: Dies kann zu Häutungsproblemen wie z.B. absterbenden Zehen führen.

Weitere Informationen zur Reptilienhaltung finden Sie zum Beispiel auf der Webseite des «Schweizer Tierschutzes».

Bartagamen sind Schuppenkriechtiere, die gerne in die Höhe klettern. Sie stammen ursprünglich aus den trockenen Wüsten Australiens. Bartagamen können 20 Jahre alt, bis zu 55 Zentimeter lang und bis zu 400 Gramm schwer werden. Es sind tagaktive Echsen, die sehr agil sind und kurze Strecken sprinten können.

Häufigste Haltungsfehler

Gemäss Reptilienfachleuten sind dies die häufigsten Haltungsfehler:

  • Zu dunkles Terrarium: Weil Bartagamen tagaktiv sind, brauchen sie zusätzlich zu natürlichem Tageslicht eine sehr leistungstarke UV-Metalldampflampe mit Vorschaltgerät.
  • Falsche Nahrung: Bartagamen mögen Insekten und Wildkräuter wie z.B. Löwenzahn. Die verbreitete Fütterung mit Gemüse und Früchten ist nicht geeignet, da der Fruchtzucker das Parasitenwachstum fördert und zu Durchfall führen kann.
  • Gruppenhaltung: Bartagamen sind Einzelgänger und sollten nicht in Gruppen gehalten werden. Ansonsten kann es zu Bissverletzungen kommen, bis hin zu abgetrennten Gliedmassen.

Weitere Informationen zur Reptilienhaltung finden Sie zum Beispiel auf der Webseite des «Schweizer Tierschutzes»

Die Königspython gehört zu den Riesenschlangen und stammt ursprünglich aus den Savannen West- und Zentralafrikas. Königspythons können bis zu 40 Jahre alt werden. Sie erreichen eine Länge von rund 150 Zentimetern und werden bis zu fünf Kilogramm schwer. Diese Schlangen sind nachtaktive Einzelgängerinnen und verbringen den Grossteil ihres Lebens in Verstecken.

Häufigste Haltungsfehler

Gemäss Reptilienfachleuten sind dies die häufigsten Haltungsfehler:

  • Zu niedriges Terrarium: Da Königspythons nicht besonders häufig klettern, werden sie oft in zu niedrigen Terrarien gehalten. Sie brauchen aber die Höhe, um ihre Körpertemperatur zu regulieren und sich ausreichend zu bewegen.
  • Zu kühle Nachttemperatur: Königspythons brauchen eine Nachttemperatur von rund 24 Grad, ansonsten können sie an einer Lungenentzündung erkranken.
  • Anfassen: Königspythons sollten nicht aus dem Terrarium herausgenommen werden, da es eher scheue Tiere sind. Anfassen führt zu Stress, was zu einem schlechten Essverhalten führen kann.

Weitere Informationen zur Reptilienhaltung finden Sie zum Beispiel auf der Webseite des «Schweizer Tierschutzes»

Die Boa Constrictor gehört zu den Riesenschlangen und stammt ursprünglich aus den feuchten Wäldern und Savannen Süd- und Zentralamerikas. Diese Schlangen werden bis zu 40 Jahre alt, bis zu dreieinhalb Meter lang und wiegen bis zu 25 Kilogramm. Die Boa Constrictor ist nachtaktiv und verbringt den Grossteil ihres Lebens am Boden, obwohl sie auch gut klettern kann.

Häufigste Haltungsfehler

Gemäss Reptilienfachleuten sind dies die häufigsten Haltungsfehler:

  • Zu kleines Terrarium: Oft wird das Terrarium zusammen mit den kleinen Jungtieren gekauft, die aber schon bald an Länge gewinnen und so dem Terrarium schnell entwachsen können.
  • Paarhaltung: Es wird empfohlen, Boas nicht gemischtgeschlechtlich zu halten, da es sich um lebendgebärende Reptilien handelt, die pro Wurf rund 25 Jungtiere zur Welt bringen. Dies kann schnell zu Platzproblemen führen.
  • Zu kleine Wasserschale: Wenn der Körper der Boa Constrictor nicht komplett in die Wasserschale passt, kann es zu Häutungsproblemen kommen.

Weitere Informationen zur Reptilienhaltung finden Sie zum Beispiel auf der Webseite des «Schweizer Tierschutzes»

Impressum

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Legende: SRF

SRF Investigativ
Pirmin Roos, Philippe Stalder (Autoren), Maj-Britt Horlacher (Redaktion), Nina Blaser (Projektleitung).

Storytelling-Desk
Dominique Marcel Iten (Redaktion), Marc Heer (Design), Robert Salzer (Frontend-Entwicklung).

«Reptilien sind keine Kuscheltiere»

«Reptilien sind keine Kuscheltiere»

Echo der Zeit vom 09.08.2018, 18:00 Uhr

SRF 3, 18.10.2023, 16:00 ; 

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