«Die Schweiz ist zur Übernahme der Richtlinie verpflichtet», hält der Bundesrat in seiner Botschaft zur Anpassung der Schweizerischen Waffengesetzgebung fest. Er meint damit die Richtlinie der EU «über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen», die nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015 verschärft worden ist. Und weiter behauptet der Bundesrat: «Die zur Umsetzung vorgeschlagenen Änderungen im Waffengesetz sind mit den Vorgaben der Richtlinie vereinbar». Tatsächlich?
Armee-Artikel auf Drängen der Schweiz
Von besonderem Interesse für die Schweiz ist der letzte Absatz von Artikel 6 der EU-Waffenrichtlinie, der für Staaten gilt, «in denen allgemeine Wehrpflicht herrscht und in denen seit über 50 Jahren ein System der Weitergabe militärischer Feuerwaffen an Personen besteht, die die Armee nach Erfüllung ihrer Wehrpflicht verlassen». Es ist der Artikel, den die EU auf Drängen der Schweiz ins Regelwerk aufgenommen hat, um die Abgabe von Ordonnanzwaffen beim Ausscheiden aus dem Militär weiterhin zu ermöglichen.
In diesem Absatz hält die EU unmissverständlich fest, solche Staaten (eben die Schweiz) könnten «an diese Personen in ihrer Eigenschaft als Sportschützen eine Genehmigung erteilen, eine während des Wehrdienstes benutzte Feuerwaffe zu behalten.»
Die EU spricht von Sportschützen...
Die EU spricht also unzweideutig von «Sportschützen». Und verweist auf vorangehende Bestimmungen im gleichen Artikel 6, die für diese «Sportschützen» gelten würden.
So verlangt die EU für ehemalige Wehrmänner, die ihre Waffe behalten wollen, unter anderem: «Es wird der Nachweis erbracht, dass der betreffende Sportschütze aktiv für Schiesswettbewerbe, die von einer offiziellen Sportschützenorganisation des betreffenden Mitgliedstaats oder einem offiziell anerkannten internationalen Sportschützenverband anerkannt werden, trainiert bzw. an diesen teilnimmt.»
...die Schweiz vom Militär
Und weiter: «Es wird eine Bescheinigung einer offiziell anerkannten Sportschützenorganisation vorgelegt, in der bestätigt wird, dass der Sportschütze Mitglied eines Schützenvereins ist und in diesem Verein seit mindestens 12 Monaten regelmässig den Schiesssport trainiert hat.»
Und was macht der Bundesrat daraus? «Für die Übernahme der Armeewaffe ändert sich nichts», hat Justizministerin Simonetta Sommaruga am 2. März bei der Präsentation der Botschaft zur Anpassung des Waffengesetzes verkündet.
In der Botschaft selbst schreibt der Bundesrat, mit der präsentierten Vorlage würden «Angehörige der Armee, die ihre ehemalige Ordonnanzwaffe beim Ausscheiden aus der Armee zu Eigentum übernehmen, sowohl vom Nachweis der Mitgliedschaft in einem Schiessverein als auch vom Nachweis des regelmässigen sportlichen Schiessens befreit». Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was die EU verlangt.
Reicht das obligatorische Schiessen?
Der Bundesrat begründet dies damit, «dass das militärische Recht als Voraussetzung für die Abgabe der ehemaligen Ordonnanzwaffe bereits einen Nachweis des aktiven Schiessens verlangt, sodass dieser Nachweis für die Erteilung der Ausnahmebewilligung nicht nochmals zu erbringen ist.» Die Verordnung über die persönliche Ausrüstung der Armeeangehörigen verlange schliesslich, dass in den letzten drei Jahren zweimal das obligatorische Programm 300 m und zweimal das Feldschiessen 300 m absolviert werden müsse.
Die Armee wird hier kurzerhand zum «Schiessverein» umfunktioniert, das obligatorische Schiessen muss als regelmässiges Schiesssporttraining für Sportschützen herhalten. Warum die EU-Forderung nach Vereinsmitgliedschaft, regelmässigem Training und Teilnahme an Schiesswettbewerben nach dem Ausscheiden aus der Armee in keiner Art und Weise erfüllt wird, das sagt der Bundesrat nicht.
Der Spielraum wird weiter ausgereizt
Der Nationalrat seinerseits hat sich nun sogar noch weiter vom Wortlaut der EU-Richtlinie entfernt. Ordonnanzwaffen sollen zusätzlich ausdrücklich nicht als verbotene Waffen eingestuft werden, hat er heute mit deutlicher Mehrheit beschlossen. Die EU-Richtlinie sieht zwar wie erwähnt Ausnahmen für die Ordonnanzwaffen vor, aber «verboten» sollen sie gemäss der Brüsseler Richtlinie dennoch sein.
Riskiert die Schweiz damit nicht den Konflikt mit der EU? «Wir sind wirklich an die Grenze gegangen des Vertretbaren», meinte Justizministerin Sommaruga an der Medienkonferenz im März zu den Formulierungen in der bundesrätlichen Botschaft. Und: «Wir haben wirklich den Spielraum ausgereizt». Mit der nun vom Nationalrat beschlossenen Fassung werde gegenüber der EU «der Erklärungsbedarf steigen», sagte die Bundesrätin zudem heute vor dem Parlament.
Man darf es auch so ausdrücken: Weder mit dem Gesetzestext des Bundesrates noch mit den Anpassungen des Nationalrates wird die EU-Richtlinie wirklich umgesetzt.