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Vor 160 Jahren Industrialisierung nicht Ursache für Ende der Kleinen Eiszeit

Ist der Mensch und mit ihm die Industrialisierung verantwortlich, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts die sogenannte Kleine Eiszeit zu Ende gegangen ist? Bislang gingen Historiker und Klimatologen davon aus, dass das Abschmelzen der Alpengletscher mit der Industrialisierung nach 1860 begonnen hat – wegen dem erhöhten Ausstoss von Russ.

Diese Annahme stimmt nicht – das haben Forscher des Paul Scherrer Instituts (PSI) herausgefunden. Und zwar anhand von Beweisen, die tief im Eis zu finden sind: Die Analyse der Russmenge, die im Gletschereis eingeschlossen ist, widerlegt diese bisherige Vermutung.

Kleine Eiszeit und wachsende Gletscher

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Die sogenannte Kleine Eiszeit umfasst den Zeitraum von etwa 1300 bis 1900, als auf der Nordhalbkugel der Erde sehr niedrige Temperaturen herrschten. In diesem Zeitraum erreichten die Gletscher ihre grösste Ausdehnung.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten einige grosse Vulkanausbrüche und deren ausgestossene Schwefelpartikel in den Tropen zu einer vorübergehenden globalen Abkühlung des Erdklimas.

Dass in der letzten Phase der Kleinen Eiszeit die Alpengletscher noch einmal stark anwuchsen, aber dann ab 1860 wieder zurückgingen, war gemäss den Analysen der Eisbohrkerne ein natürlicher Prozess. Denn erst ab 1875 überstieg die Menge an industriellem Russ in Mitteleuropa die natürlich in der Atmosphäre vorhandene Menge Russ.

Vollständige Datenreihe 250 Jahre zurück

Die Wissenschaftler des PSI haben in Eisbohrkernen, unter anderem aus dem Fiescherhorngletscher, die dort eingeschlossene Luftzusammensetzung und vor allem die Menge an industriellem Russ untersucht.

Mit ihren Messungen erstellen sie die erste ununterbrochene Datenreihe für Mitteleuropa über die Menge des industriellen Russes in der Atmosphäre von 1740 bis heute. Das «ewige Eis» konservierte diese Russpartikel. So konnten die Forscher die Russkonzentration in der Umwelt bis 250 Jahre zurückverfolgen, was bisher nicht möglich war.

«Eis hat ein hervorragendes Klimagedächtnis, weil Jahr für Jahr die gesamte Luftzusammensetzung mit allem, was mit dem Niederschlag ausgewaschen wird, archiviert ist – wie in einem Geschichtsbuch», sagt der Klimaforscher Michael Sigl.

Michael Sigl zeigt einen Bohrkern aus dem Fiescherhorngletscher.
Legende: Michael Sigl zeigt einen Bohrkern aus dem Fiescherhorngletscher. SRF

Russ wirkte erst nach 1875

Diese Daten zeigten eindeutig, dass industrieller Russ kaum verantwortlich sein kann für die Schmelze der Alpengletscher zwischen 1850 und 1875. Erst ab 1875 überstieg die Menge an industriellem Russ in Mitteleuropa die in der Atmosphäre natürlich vorhandene Menge Russ.

Die Untersuchung der Eisbohrkerne aus unterschiedlichen Gletschertiefen erfolgte im Labor des Paul Scherrer Instituts in Villigen (AG). «Russpartikel sind interessant, weil sie sehr dunkel sind. Wenn sie auf der Schneeoberfläche abgelagert werden, verdunkeln sie diese Oberfläche und damit können sie das Abschmelzen der Gletscher beschleunigen», erklärt Michael Sigl.

Die Forscher ziehen darum den Schluss, dass der grösste Rückgang der Alpengletscher bereits abgeschlossen war, als 1875 die Konzentration von industriellem Russ massiv zugenommen hat.

«Die wichtigste Erkenntnis ist wohl, dass der Mensch im 19. Jahrhundert wohl noch keinen nachweislichen Einfluss auf den Gletscherrückgang hatte.» Das Ende der Kleine Eiszeit war also eine natürliche Klimaschwankung. Der Mensch – anders als heute – hatte damals noch keinen Einfluss auf das Klima.

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