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«Zone à défendre» Schutzzonen-Besetzung in der Romandie: Die neue Form des Protests

Mit einer «ZAD» wollen Umweltaktivisten den Abbruch eines Ökosystems verhindern. Eine neue Protestform mit Tücken.

Sie sind gekommen, um zu bleiben. Und auch jetzt, da der erste Schnee fällt, deutet nichts darauf hin, dass die Aktivistinnen und Aktivisten ihre Besetzung des Mormont-Hügels im waadtländischen Eclépens aufgeben könnten. Im Gegenteil, die selbstgebauten Hütten sind inzwischen isoliert, die Jurten und das besetzte Haus geheizt. Es ist die erste «Zone à défendre» der Schweiz, kurz «ZAD», aus Sicht der Umwelt-Aktivistinnen und -Aktivisten eine Art Schutzzone für das bedrohte Ökosystem.

Denn unweit von den alternativen Behausungen tut sich ein Loch im Berg auf. Und die Steingrube des Zementherstellers Holcim soll ausgedehnt werden; dagegen ist bereits der Rekurs einer lokalen Naturschutzvereinigung vor Bundesgericht hängig. Die «ZAD-isten» wollen diesem Rekurs mit ihrer Aktion Nachdruck verleihen. Die Antwort des Bundesgerichts wird in den kommenden Monaten erwartet.

Hütten, Barrikaden, Baumhäuser

Es sind schätzungsweise an die zwanzig Aktivistinnen und Aktivisten, die auf dem Mormont illegal hausen. Gefilmt werden wollen die meisten darum nur von hinten und sie geben verhüllt Auskunft, unter Angabe von Pseudonymen. «Es gibt hier oben eine grosse Biodiversität, etwa eine geschützte Orchideen-Art, die wir verteidigen», erklärt «Sen». Ausserdem sei da eine keltische Kultstätte, die ebenfalls bedroht sei. Neben diesem «lokalen Kampf» gebe es aber auch eine grössere Dimension: «Ganz allgemein geht es uns darum, den Umgang der Gesellschaft mit dem Beton zu hinterfragen – und an den hohen CO-2-Ausstoss von Holcim zu erinnern.»

Holcim Schweiz hingegen betont gegenüber SRF die eigenen Bestrebungen, die Biodiversität zu erhalten und zu fördern. Die Anliegen der Aktivisten nehmen man «sehr ernst», gleichzeitig sei die aktuelle Situation nicht legal und daher inakzeptabel: «Angesichts der Besetzung des Grundstücks und der damit verbundenen Sicherheitsrisiken nimmt Holcim ihre Verantwortung ernst und hat Strafanzeige eingereicht.»

Ein Protest wie in Frankreich

Der Begriff «Zone à défendre» ist in der Romandie nicht unbekannt. Die Protestform ist eine Art des zivilen Ungehorsams und kommt aus Frankreich. Die bekannteste «ZAD» war jene in Notre-Dame-des-Landes. Sie wurde 2018 nach über 15 Jahren zwar geräumt, erreichte aber das Ziel, ein Flughafenprojekt zu verhindern.

An diesen Erfolg dürfte die Schweizer «ZAD» anknüpfen wollen. Für Schlagzeilen sorgt in der Waadt derzeit aber vor allem der Umstand, dass sich nicht alle Aktivisten von allfälligen künftigen Sabotage-Akten distanzieren. Für Expertin Oriane Sarrasin ist dies ein heikler Moment für den Erfolg dieser Protestform. Sie untersucht die Wirkung von zivilem Ungehorsam auf die Bevölkerung. «Grundsätzlich besteht für eine solche Minderheit die Chance, dass sie mit ihrem Protest ein Bewusstsein für ihre Anliegen schaffen kann – sofern sie ihre Position konsistent und standhaft vertreten», sagt sie. «Wenn die Aktivisten aber zu radikal auftreten oder so wahrgenommen werden, besteht die Gefahr, dass sich auch wohlgesinnte Leute von der Gruppe abwenden.»

Tagesschau, 11.12.2020, 19:30 Uhr

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