Zum Inhalt springen

Serie: So liebt die Welt So liebt Ägypten: Ohne Heirat kein eigenes Leben

Ägypten ist ein konservatives Land. Und nach der Revolution erhielten die religiösen Kräfte noch mehr Aufwind. Die Moralvorstellungen sind strikt: Sex vor der Ehe gibt es nicht, selbst Verlobte küssen sich nur versteckt. Das hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft, wie «10vor10» zeigt.

Minna strahlt vor Glück! Heute ist ihr grosser Tag: Verlobung mit Atef. Es war ihr Lebenstraum, und der konnte gar nicht schnell genug verwirklicht werden: Minna ist 16 Jahre alt. «Wenn Du bereit bist, einen Haushalt zu gründen, dann sollst Du heiraten. Ich finde, das ideale Alter dafür ist zwischen 18 und 20.»

Bis zu ihrer Hochzeit wird es noch rund ein Jahr dauern. Je nach dem, wie schnell Atef die finanziellen Voraussetzungen erfüllen kann: Eine eigene Wohnung, ein grosses Fest ausrichten, teuren Hochzeits-Schmuck kaufen. Es ist eine harte Prüfung: Die Ringe müssen nicht nur Minna zufriedenstellen. Sondern auch ihre Mutter, ihre Cousinen, und auch manche Nachbarin wird ihren Kommentar abgeben.

Kein Sex vor der Hochzeit

Für Minna ist klar: Arbeiten wird sie nach der Hochzeit nicht. «Atef würde mich auch kaum arbeiten lassen. Weshalb sollte ich auch? Ich bin ja mit einem guten Mann verheiratet.» So halten es viele in Ägypten. In Frage gestellt wird es nicht. Jedenfalls nicht von der breiten Schicht der armen und ärmeren Bevölkerung.

Ägyptische Frauen stehen in einer Gruppe an.
Legende: Viele Frauen in Ägypten heiraten oft, um dem sozialen Druck zu entkommen. Keystone

Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist kompliziert in Ägypten. Der Umgang mit der Liebe restriktiv. Neun von zehn Ägyptern geben an, jüngfräulich in die Ehe gegangen zu sein. Auch Minna wird es so halten: «Auch wenn ich jetzt verlobt bin gehe ich nicht alleine mit Atef aus. Weshalb auch? Wir besuchen uns gegenseitig mit unseren Familien. Wenn wir ausgehen, ist sein Bruder dabei oder mein Bruder. Wir müssen nicht alleine sein.»

Küssen vor der Ehe soll erlaubt sein

Das geht sogar Gamal el-Banna zu weit. Gamal el-Banna ist nicht irgendwer. Gamal el-Banna ist der jüngste Bruder des Gründers der Muslimbruderschaft, Hassan el-Banna. Und steht damit schon von seiner Herkunft wegen über jedem Verdacht, kein guter Muslim zu sein. «Wir sind Opfer bizarrer Traditionen. Zum Beispiel, dass der Bräutigam seine Braut vor der Hochzeit nicht sehen soll. Ist das denn noch möglich?»

Und so plädiert Gamal el-Banna für ein offeneres Verhältnis zwischen den Geschlechtern: Küssen vor der Ehe soll erlaubt sein! In Ägypten ein so revolutionärer Gedanke, dass el-Banna gleich wieder einschränkt, dass dies nur für bestimmte Fälle gelten sollte. «Sich zu küssen, das ist doch der stärkste Instinkt der Menschen. Das kann man nicht unterdrücken! Deshalb plädiert unsere islamische Tradition auch für die Ehe: Um diesen Trieb zu kanalisieren! Falls es jetzt einem Paar erschwert ist, zu heiraten, dann soll ein Kuss vor der Ehe das kleinste der Probleme sein!»

Heirat als Flucht

Für viele Ägypterinnen und Ägypter ist die Hochzeit deshalb auch eine Flucht nach vorne. Auch für Laila, eine gut ausgebildete junge Frau, die keineswegs vorhat, nach der Heirat ihre Arbeit aufzugeben. «Viele Frauen heiraten, weil sie dem sozialen Druck entkommen wollen. Ägypter ziehen erst in eine eigene Wohnung, wenn sie verheiratet sind. Zuvor wohnen sie im Haus der Eltern. Und wenn du mit 25 Jahren noch nicht verheiratet bist, beginnen Verwandte und Nachbarn langsam Fragen zu stellen.»

Minna hat übrigens Glück: Sie und Atef haben bereits eine Wohnung gefunden. Sie werden künftig in der Wohnung über ihren Eltern wohnen. Der baldigen Hochzeit steht damit ein Hindernis weniger im Weg.

Meistgelesene Artikel