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Serie: So liebt die Welt So liebt China: Liebe als Deal

In China steht der wirtschaftliche Erfolg über allem. Jeder will Teil sein des Wirtschaftsbooms. Die junge Generation steht unter riesigem Erfolgsdruck, wie «10vor10» zeigt. Das macht die Partnersuche pragmatisch. Niemand hat Zeit, die Liebe einfach so auf sich zukommen zu lassen.

«Ich bringe meinen Schülerinnen nicht bei, wie man liebt, sondern wie sich erfolgreiche Männer in sie verlieben», sagt die Kursleiterin und Besitzerin einer Heirats-Schule, Shao Tong. Ihre Kurse laufen unter dem Titel «How to marry a millionaire». «Eine Heirat ist für eine Frau wie eine zweite Geburt», sagt Tong, «und jede Frau wünscht sich ein besseres Leben».

Heiratsinstitute, Internet-Datingsites und Kuppelshows boomen

Die Sendung «if you are the one»  ist negativ aufgefallen. Vor einem Millionenpublikum sagte eine Teilnehmerin, sie würde lieber in einem BMW weinen, als auf einem Fahrrad lächeln. Unakzeptabler Materialismus, konterte die Regierung. Seither redet das Zentralkomitee bei der Kuppelshow ein Wörtchen mit und hat restriktive Auflagen verordnet.

Barbara Lüthi interviewt eine Chinesin zum Thema Liebe
Legende: Barbara Lüthi (links) interviewt eine «Übriggebliebene». sf

«Jiayuan» – zu Deutsch: «wunderbares Schicksal» ist mit 73 Millionen Usern die grösste Verkupplungsplattform im ganzen Land. Zwölf Prozent der Männer, welche die Plattform nutzen, geben an, eine Wohnung zu besitzen. Und fast alle Frauen, die die Plattform nutzen, suchen ihren potentiellen Partner unter diesen zwölf Prozent. 

Dating-Event – gesponsert von Audi

Ein Mann, der heiraten will, lautet ein ungeschriebenes Gesetz, braucht ein Auto und eine eigene Wohnung. Ich besuche einen Dating-Event, der von der Automarke Audi gesponsert ist. An diesem Event erklärt eine junge Frau, die sich Shine nennt, den Pragmatismus in der Liebe folgendermassen: «Seit Chinas Öffnung geht es allen nur noch um die Wirtschaft, es ist der einzige soziale Faktor. Darum heiraten viele Frauen für Geld. Und an Dating-Events nehmen wir alle Teil, weil wir ständig damit beschäftigt sind, Geld zu verdienen und keine Zeit haben, einen Partner zu suchen.»

Gut gebildete Frauen haben ein Problem

Der Architekt Mao Yanwen hofft am Audi-Event  seine Traumfrau zu finden. Sie soll gross, schlank und devot sein: «In der chinesischen Kultur hat der Mann eine wichtigere Rolle als die Frau. Ist eine Frau erfolgreicher, bringt das grossen Druck mit sich», sagt er.

Das führt zu einem einzigartigen Phänomen. In China gelten gut ausgebildete,  beruflich erfolgreiche Frauen, die mit 27 Jahren noch Single sind, als sogenannte «Shengnü – Übriggebliebene». Das Zeitfenster für diese Frauen ist sehr klein.  Während sie an der Universität sind, ist es ihnen von den Eltern nicht erlaubt, einen Freund zu haben. Sie sollen sich auf das Lernen konzentrieren, sie sollen ja einmal erfolgreich sein.

Die Rückkehr der Konkubinen

Wenn sie mit 25 abschliessen, sollen sie plötzlich wissen, wie man einen erfolgreichen Mann mit Haus und Auto kennenlernt. Und falls sie mit 27 noch nicht verheiratet sind, werden sie als «Shengnü – Übriggebliebene» abgestempelt. Viele Frauen erbringen Ende 20 deshalb grosse Opfer. Es gibt Frauen, die eine Promotion ablehnen, weil sie Angst haben, dass es dann noch schwieriger ist, einen potentiellen Gatten kennenzulernen. Je besser also die Karriere läuft, desto geringer sind die Chancen auf dem Heiratsmarkt.

Box aufklappen Box zuklappen

Unter Mao wollten die Kommunisten das Konkubinat ausrotten – heute halten sich laut einer chinesischen Schätzung  90 Prozent der Geschäftsmänner, die in den letzten fünf Jahren für Korruption verurteilt wurden, eine bezahlte Nebenfrau.

Erfolgreiche Frauen laufen also Gefahr, alleine zu bleiben. Erfolgreiche Männer nehmen sich oft eine Geliebte. Konkubinen waren ein Phänomen des feudalen Chinas. Erfolgreiche Männer hielten sich Nebenfrauen, der Kaiser hatte Tausende.

Die Mätressen nennt man heute «Ernai -  Zweite Milch». Das Konkubinat ist im modernen China so stark verbreitet, dass Ehefrauen eine Vereinigung gegründet haben, um den Brauch zu bekämpfen.  

Konkubine als Statussymbol

In Xiamen besuche ich die «Konkubinen-Killerin», wie sich Xin Ya scherzhaft nennt. Sie hat vor zwei Jahren die Vereinigung zur Erhaltung der Ehe gegründet. Sie hört betrogen Ehefrauen zu, erklärt wie man die Konkubine verscheucht, den Mann zurückgewinnt oder sich knallhart scheiden lässt.

«Erfolgreiche Männer sehen die Konkubinen als Statussymbol»,  sagt Xin Jia. «Sie  dienen der Eitelkeit des Mannes, sie zeigen seinen sozialen Status. Doch diese Männer können zurückgewonnen werden, denn nichts ist erstrebenswerter, als nebst beruflichem Erfolg auch ein glückliches Familienleben zu haben.»

Ich verlasse Xiamen mit einem versöhnlichen Gefühl. Es ist in China also nicht anders, also sonstwo – eigentlich träumt jeder und jede von der grossen Liebe. Die Chinesen sind nur sehr viel pragmatischer als wir.  Im Leben und in der Liebe.

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