Der Film «Die Zeit läuft für uns» beginnt mit einem sehr persönlichen Tondokument: Zu hören ist Regisseur Stanko Pavlica als Kind. Er soll einer Sprachlehrerin das Wort «Bleistift» nachsprechen. Für den gehörlosen Jungen eine Tortur.
Heute nutzt Pavlica lieber die Gebärdensprache. Zum Interview mit SRF nimmt der Filmemacher aus dem aargauischen Bremgarten deshalb eine Dolmetscherin mit.
Ein Vorkämpfer für die Selbstbestimmung
«Der Film über Markus Huser ist sehr aktuell», sagt Pavlica. «Viele seiner Forderungen sind auch nach 40 Jahren noch gültig.» Der junge Student Huser aus Wettingen hatte in den Achtziger-Jahren die Gehörlosen-Bewegung aufgemischt. Er wehrte sich dagegen, dass die Verbände von Hörenden geführt wurden, dass die Gehörlosen selbst kaum etwas zu bestimmen hatten.
Später erreichte Huser auch, dass die Invalidenversicherung den Gehörlosen mehr Geld zahlte oder dass das Fernsehen mehr Sendungen mit Untertiteln ergänzte. Vor allem aber engagierte sich Huser für die Gebärdensprache. Diese sei bis heute in der Schweiz nicht offiziell anerkannt, betont der gehörlose Regisseur Stanko Pavlica.
Es braucht eine Matura in Gebärdensprache.
«Was ich immer wieder betone: Es braucht eine Matura in Gebärdensprache. In vielen anderen Ländern kann man die Matura in Gebärdensprache machen. Nur so haben auch Gehörlose eine Chance auf höhere Schulbildung, können an Fachhochschulen oder Universitäten.»
Gebärdensprache als Türöffnerin
Aktuell ist ein Vorstoss hängig im Bundeshaus. Verschiedene Parlamentarier hatten verlangt, dass die Gebärdensprache anerkannt wird und die Schweiz damit das Behinderten-Gleichstellungsgesetz auch in diesem Bereich umsetze. Das Postulat wurde im Herbst an den Bundesrat überwiesen und ist nun bei der Verwaltung in Arbeit.
Auch Pavlica kennt die Hürden der Kommunikation im Alltag. «Wenn ich auf der Strasse nach dem Weg gefragt werde, dann reagieren die Menschen zum Teil irritiert auf meine Antworten. Meine Stimme klingt etwas komisch und die deutsche Sprache musste ich wie eine Fremdsprache lernen. Es gibt Menschen, die drehen sich dann einfach weg.»
Es gibt Menschen, die drehen sich einfach weg.
Pavlica lässt sich dadurch aber nicht entmutigen. Als Inhaber und Geschäftsführer einer Film-Firma arbeitet er auch mit hörenden Kunden. Und erzählt gerne die Geschichte einer grossen Schweizer Firma, für die er gearbeitet hatte. «Im Vorfeld hatten wir nur per Email Kontakt, ich habe nie erwähnt, dass ich nicht höre», so Pavlica.
«Als ich dann den CEO dieser Firma getroffen habe und mit einem Gebärdensprache-Dolmetscher ankam, da war er zuerst sehr irritiert. Dann aber habe ich ihm erklärt, wie die Kommunikation läuft und er war dann sehr begeistert und offen.» Pavlica leitet aus dieser Erfahrung ab: «Es braucht Vertrauen zwischen Hörenden und Gehörlosen. Das muss sich entwickeln. Dazu braucht es positive Erfahrungen.»
Der Kampf geht weiter
Gegenseitiger Respekt, Anerkennung: Was Regisseur Stanko Pavlica sich wünscht für die rund 10'000 Gehörlosen in der Schweiz, das wünschte sich schon Markus Huser. Der Pionier verstarb 1991 mit erst 35 Jahren. Der 70-minütige Dokumentarfilm setzt ihm nun ein Denkmal.
Der Filmemacher ist sehr stolz darauf, dass es sein Film nun ins Programm der Solothurner Filmtage geschafft hat. Das zeige ja auch, dass die Anliegen der Gehörlosen eben doch gehört werden. Pavlica führt den Kampf von Huser mit filmischen Mitteln fort.
Und nicht nur mit filmischen Mitteln: Auf den Werbeartikeln zum Film ist das Konterfei von Markus Huser zu sehen. Im Stile Che Guevaras. Auf der Rückseite der Slogan «We Shall Overcome» der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Pavlica meint es genau so: «Markus Huser ist für mich eine Mischung aus Revolutionär Che Guevara und Martin Luther King.»