Einige Tage vor der Para-Leichtathletik-EM in Berlin trainiert Abassia Rahmani auf der Sportanlage Deutweg in Winterthur. Unter der heissen Nachmittagssonne feilt sie mit ihrem Trainer nochmals an den letzten Details ihrer Technik.
Abassia Rahmani, halb Schweizerin, halb Algerierin, rennt nicht mit Laufschuhen an den Füssen. Die 26-Jährige sprintet mit sogenannten Blades über die Tartanbahn. Das sind spezielle Karbon-Prothesen, mit Spikes, nach Mass gefertigt. «Es fühlt sich an wie im Skischuh», sagt Rahmani. Auf diesen schwarzen, bügelförmige Federn rennen zu lernen, das sei aber gar nicht so einfach gewesen.
Ich musste lernen, die Energie dieser Prothesen in Schach zu halten.
Die Tösstalerin musste sich eine starke Rücken- und Rumpfmuskulatur antrainieren, um die Kräfte kontrollieren zu können.
Eine weitere EM-Medaille in Reichweite
Das Schicksal schlug bei Abassia Rahmani vor 10 Jahren zu. Wegen einer bakteriellen Blutvergiftung verlor sie, damals 16, beide Unterschenkel. Vor vier Jahren dann entdeckte sie den Behindertensport – und startet nun erfolgreich an internationalen Wettkämpfen. Sie ist inzwischen Profisportlerin, hat Sponsoren.
2016 wurde sie EM-Dritte über 100 Meter. An den Paralympics in Rio erreichte sie über 200 Meter den 4. Platz. Und an der WM in London 2017 sprintete sie über 400 Meter erneut auf Rang vier. Auf ihr Ziel an der Para-EM in Berlin angesprochen, meint die Sprinterin: «Ich habe die letzten paar Wochen hart trainiert. Die Formkurve stimmt. Und wenn alles gut läuft, ist eine Medaille wahrscheinlich in Reichweite.»
Trainieren wie eine gesunde Sportlerin
Abassia Rahmani ist es wichtig, dass sie über ihre Leistung sprechen kann, und nicht über ihre Behinderung. Der Sport soll im Vordergrund stehen, nicht ihr Handicap.
So sieht das auch Rahmanis persönlicher Trainer Georg Pfarrwaller. «Ich versuche es, möglichst normal zu betrachten, sie als gesunde Sportlerin zu sehen.»
Was kann sie nicht? Diese Frage ist immer die letzte Option.
Was zum Beispiel für Abassia Rahmani nicht auf dem Trainingsplan steht, sind Waldläufe. Ihre Blades sind dafür nicht geeignet. Ansonsten sieht alles so aus wie bei anderen Spitzenathletinnen. An diesem Nachmittag wird der Start genauer analysiert. Georg Pfarrwaller filmt die Läufe mit seinem Tablet und gibt Instruktionen. Rahmani hört aufmerksam zu und läuft dann zurück an den Start, um das Gehörte sogleich umzusetzen.
Viel Zeit fürs Training bleibt Rahmani nicht mehr. Ihr Einsatz in Berlin steht kurz bevor. Wie geht es ihr vor dem Wettkamp am Montagabend? «Ich bin schon etwas nervös. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich sei ganz entspannt. Aber Nervosität gehört dazu. Das gibt einem dann auch den letzten Adrenalinkick.»