Europa rüstet auf. 800 Milliarden will die EU in den kommenden Jahren für die Aufrüstung ausgeben. Seit dem Ukrainekrieg stellt sich auch die Schweiz die Frage: Brauchen wir eine stärkere Armee oder müssen wir die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn stärken? Was ist uns Neutralität heute noch wert? Und wie sichern wir unsere Zukunft – mit Waffen oder mit Diplomatie?
Unsere Fachrunde, bestehend aus Militärdozent Michael M. Olsansky, Hausarzt Antoine Chaix, Berufsoffizier Daniel Langenegger und Militärhistoriker Fritz Kälin, hat Ihre Fragen von 20:15 bis 21:30 Uhr beantwortet.
Am 20. Mai diskutiert der Club die Themen Sicherheit, Aufrüstung und Neutralität am Stammtisch in Einsiedeln, wo der Gedanke der bewaffneten Neutralität tief verwurzelt ist. Mit dabei sind: der Abt des Klosters Einsiedeln, Lokalpolitikerinnen und Nationalräte, ein Berufsmilitär, ein Pazifist – und Menschen aus dem Ort.
Chat-Protokoll:
Neutralität. JA ABER Wir brauchen unsere Nachbarn wie sie uns auch , deshalb Sollte ein Nachbarland Angegriffen werden sollten wir dazu beitragen es zu verteidigen , sprich unsere Waffen sollten dort zum Einsatz kommen dürfen !!! Beispiel Russland greift brutal die Ukraine an !! Die Gesetze sollten so angepasst werden könnmen !!! Das entspräche einer ehrlichen Friedensförderung !!!
Antoine Chaix: Ich persönlich denke nicht, dass die Schweiz zur Sicherheit unserer Nachbarländer mehr leisten kann über die von mir mehrmals erwähnte (Friedens)vermittlung als über militärische Schlagkraft.
Immer mehr Armeeangehörige verfügen über eine doppelte Staatsbürgerschaft. Wie beurteilt die Schweizer Armee diese Entwicklung? Gibt es im Ernstfall sicherheitsrelevante Überlegungen dazu – oder könnten sich daraus allenfalls sogar strategische Vorteile ergeben?
Michael M. Olsansky: Ich bin Major der Infanterie, war fünf Jahre Kompanie Kommandant und das als Schweizerisch-Tschechischer Doppelbürger, der seit Geburt in der Schweiz gelebt hat. Habe mich selbst nie als Sicherheitsrisiko empfunden, wenn Sie das meinen. ;-) Und der kürzlich preisgekrönte Film «Die anderen Schweizer» sowie militärsoziologische Forschung hat gezeigt, dass sich Doppelbürger und Söhne/Töchter von Einwandererfamilien überproportional im Militär engagieren.
Ist ein Verteidigungssystem wie das israelische Iron Dome in der Schweiz denkbar'? Hat man das schon mal in Erwägung gezogen?
Dr. Fritz Kälin: Iron Dome dient gegen Raketen, die eher aus naher Distanz und niedriger Höhe anfliegen. Für die Schweiz ist die Abwehrlücke gegen höher und schneller fliegende Distanzwaffen aus grösserer Entfernung problematischer. Deshalb beschafft sie F-35 Kampfjets und Patriot-Luftabwehrsysteme. Und viele Sicherheitspolitiker fordern, dass für diese kostbaren Systeme auch mehr Munition / Lenkwaffen beschafft werden, als vom VBS ursprünglich beantragt.
Wieso glauben Sie, dass die amerikanische Politik nicht versucht mehr Druck auf Russland aufzusetzen, indem Sie Puntin klar macht, dass die Ukranie so viel Mittel erhält, bis hin zu möglicher Unterstützung von personellen Resourcen, bis Russland eine Niederlage,erleidet und annektierte Gebiete aufeben müsste. Das wäre ja ein herber Gesichtverlust für Putin.
Michael M. Olsansky: Die amerikanische Aussenpolitik wird ganz wesentlich vom jeweils amtierenden Präsidenten und dessen Regierungsadministration gemacht. Und wir erleben, dass der jetzige Präsident genau nicht daran denkt, grösseren Druck auf Putin auszuüben, wobei wir nicht wissen, wie Präsident Trump bspw. im nächsten Jahr darüber denkt. Aber derzeit versucht Trump ja eher, wieder Beziehungen zu Moskau aufzubauen, zum einen, weil er diesen Krieg grundsätzlich beenden möchte und – so Strategieexperten – weil er Russland aus der Achse mit Peking herauszulösen gedenkt. Warum auch immer, wir Europäer können wohl nicht davon ausgehen, dass Präsident Trump in den kommenden Jahren so handeln wird, wie Sie in Ihrer Frage skizzieren.
Frage an Herrn Antoine Chaix: Was haben Sie als Arzt für Erfahrungen gemacht, können Sie uns eine eindrückliche Episode mit ärzte ohne grenzen erzählen? sehr spannend
Antoine Chaix: Oh, das würde lange dauern. ;-) denn ich habe viele eindrückliche Erfahrungen machen dürfen... Als wir im Osten von Sierra Leone erstmals nach dem Bürgerkrieg wieder eine ärztliche Sprechstunde anbieten konnten, kamen über dreihundert teilweise schwer kranke Menschen zu mir, um Hilfe zu suchen. Es war völlig überfordernd, aber gab erst recht die Motivation, dort mit einem ganzen Team später tätig zu werden... wenige Wochen danach war nach der anfänglichen Ohnmacht ein grob funktionierendes System aufgebaut, was wiederum sehr befriedigend war. Ich wünschte mir, dass mehr Ärztinnen und Ärzte solche Einsätze machen, das ist eine Bereicherung für unsere medizinische Arbeit auch hier in der Schweiz.
Was haben wir in den letzten jahren falsch gemacht, dass unsere armee nun so ist wie sie ist
Michael M. Olsansky: In einer Demokratie gilt das Primat der Politik über das Militär. Das heisst aber auch, dass die Politik die militärischen Verhältnisse verantwortet. So sind beispielsweise die Rüstungslücken der heutigen Schweizer Armee auf Nichtinvestitionen in den letzten 40 Jahren zurückzuführen. Die fehlenden Personalbestände sind ebenfalls auf entsprechende politische Beschlüsse zurückführbar, unter anderem auch auf die Ausweitung des Zivildienstes. Und alle diese Beschlüsse hatten ihre politischen Mehrheiten, waren gewollt und legitimiert und für das Militär natürlich verbindlich. Letztlich ging man halt einfach davon aus, dass sich der Krieg aus der europäischen Geschichte verabschiedet hat, aber das hat er leider nicht.
Worin liegen die Hindernisse, dass sich ein Verteidigungsbündnis neu organisiert/ neu gründet, wenn, wie in der Nato, die Überzeugungen und Interessen verschiedener Mitgliedstaaten auseinanderdriften und dadurch das alte Büdnis in seoner Möglichkeiten immer stärker eingeschränkt wird? (mich interessiert es neben der generellen Fragestellung im speziellen für die NATO als Organisation) Vielen Dank für die Antwort
Dr. Fritz Kälin: Tatsächlich scheint die Nato politisch auseinanderzudriften, obwohl doch eine offensichtliche gemeinsame Bedrohung sie mehr denn je zusammenschweissen sollte. Weil sowohl die Interessen als auch die Werte der Mitgliedstaaten offenbar nicht kongruent sind. Je unberechenbarer sich die Allianzen und Kräfteverhältnisse verschieben, desto wertvoller wird für die Schweiz die Neutralität. Denn es ist leichter, sich Zweckbündnissen anzuschliessen, als sich aus veralteten Beistandsverpflichtungen herauszulösen.
Guten Tag Unsere globale Sicherheitsarchitektur muss von Grund auf neu gedacht werden ! Wenn wir Menschen wirklichen dauerhaften Frieden wollen dann müssen wir alles auf eine internationale starke und verlässliche Zusammenarbeit auslegen. Solange jedoch Rüstungs- Konzerne grösste Gewinne der Wirtschaft machen wird sich nie etwas ändern ! Wie wäre es mit einer basisdemokratisch geführten Weltpolizei in welcher alle Staaten und Länder gleich stark vertreten sind und verlässlich für Deeskalation sorgen würde ? Bleibt bestimmt eine Frage der Mächtigen nach wahren Friedensinteressen ... also sollten alle Menschen aus den Völkern für wirklichen Frieden sich erheben und sich einsetzen ?
Michael M. Olsansky: Ihre Idee ist sehr schön, aber m. E. sehr utopisch, wie wollen Sie das erreichen? Wir dachten ja in den 1990 und 2000er Jahren, dass der Krieg, insbesondere zwischenstaatliche Krieg ein Auslaufmodell sei, und jetzt – in diesen Tagen – befinden sich selbst Indien und Pakistan am Rande eines veritablen Krieges. So schön Ihre Vision ist, ich glaube gerade auch als Historiker nicht daran, dass sich das je einstellen wird.
Antoine Chaix: Ich teile leider die Meinung des Historikers, denn das einzige, was wir aus der Geschichte lernen können, ist, dass wir nichts aus der Geschichte lernen... Trotzdem sollten wir nicht aufgeben, zumindest ansatzweise andere Wege zu suchen als eine Eskalation. Wie ich schon mehrmals im Chat geschrieben habe, erachte ich die Rolle des Vermittlers zwischen den Fronten als eine mögliche wertvolle Aufgabe, die dich Schweiz (wieder vermehrt!) spielen könnte und sollte.
Was halten eigentlich andere Länder von der Schweizer Armee, das würde mich interessieren.
Daniel Langenegger: Meine Erfahrung in Auslandseinsätzen und Ausbildungen im Ausland zeigt, dass die Schweizer Armee durchaus positiv wahrgenommen wird. Wir brauchen uns mit unserer Milizarmee überhaupt nicht zu verstecken. Man akzeptiert, dass wir rein defensiv ausgerichtet sind, man nimmt uns also nicht als Bedrohung wahr. Eher als qualitativ hochwertiger Partner mit eher geringer Quantität.
Guten Abend ein Mikrostaat wie die Schweiz kann nur glaubwürdig Abschrecken, wenn er nukleare Kapazitäten hat. Warum wurde dahingehend noch nichts unternommen?
Daniel Langenegger: Es gab einmal Überlegungen, die Schweiz nuklear zu bewaffnen, dafür wurde, unter anderem, auch das Kampfflugzeug Mirage beschafft. Die technologische Basis, also das technologische Wissen, wäre ebenfalls im Grundsatz vorhanden. Schlussendlich hat man sich aber Ende der 80er-Jahre politisch dagegen entschieden und 1995 stimmte die Schweiz der unbefristeten Verlängerung des Atomwaffensperrvertrags zu.
Guten Abend, danke für den Live-Chat. Was hätte die Schweizer Armee der russichen entgegenzusetzen? Hätten wir so lange wie die Ukrainer durchgehalten? Wohl kaum, oder? Weshalb dann die ganze Geldverschwendung?
Daniel Langenegger: Die Ukraine wurde zu Beginn, zumindest aus russischer Perspektive, nicht als sehr verteidigungsfähig wahrgenommen. Sonst hätten die Russen vermutlich nicht angegriffen. Dass die Ukraine nun mittlerweile seit mehr als 3 Jahren diesen Verteidigungskrieg führen kann, verdankt sie den unzähligen Waffen- und Munitionslieferungen der westlichen Staaten. Kämpfen muss sie aber am Schluss selbst. Die Schweiz muss somit auch in der Lage sein, zumindest initial einen Gegner abzuwehren, besser noch so stark wirken, dass ein allfälliger Gegner gar nicht auf die Idee kommt, die Schweiz anzugreifen.
Guten Abend. Warum wird die Neutralitätsdebatte so heftig und seit Jahren geführt, ich kann das nicht verstehen. Gibt es keine Option, wie wir europaweit koordinieren könnte, ohne die Neutralität gleich aufzugeben?
Antoine Chaix: Ich denke, dass die Neutralitätsdebatte in meinem Empfinden sogar zu wenig konsequent diskutiert und umgesetzt wird. Denn eine konsequent umgesetzte Neutralität/Unparteilichkeit wäre meines Erachtens eine «Waffe» oder eher Mittel, die kein anderer Staat in der Vermittlung neuer Gleichgewichte übernehmen könnte.
Dr. Fritz Kälin: Der neutralitätspolitische Konsens läge auf der Hand: Die Schweiz muss ihre Neutralität wieder so gut bewaffnen, dass sie sich genug lange aus eigener Kraft verteidigen könnte, damit andere ihr zu Hilfe eilen könnten. Dazu müsste die Linke höhere Armeeausgaben akzeptieren, die SVP müsste eingestehen, dass die Armee nur im nahen Ausland realistisch trainieren kann und weitreichende Waffen braucht. Die Mitteparteien dürfen sich nicht darauf verlassen, dass die uns heute wohlgesinnten Partnerländer auch in 5, oder 15 Jahren mit uns befreundet sind.
Und die Wirtschaft muss Hand akzeptieren, dass Männer und Frauen in Zukunft wieder mehr und länger als bisher Dienst in Armee und Zivilschutz leisten müssen, wenn sonst sind keine glaubwürdigen Bestände möglich.
Umliegende Länder machen sich die Hände auch für unsere Sicherheit schmutzig. Ist mit diplomatischen Bemühungen unser Beitrag für ein sicheres Europa geleistet?
Michael M. Olsansky: Die internationale Diplomatie zeigt sich derzeit ganz allgemein in der Lösung der bewaffneten Konflikte und Kriege sehr schwach. Im Falle des Ukrainekriegs sieht man auch, dass Länder, die keine militärische Relevanz haben, als diplomatische Vermittler kaum gefragt sind. So hat Putin vor einigen Monaten ein Vermittlungsversuch des deutschen Bundeskanzlers Scholz schlicht darum abgelehnt, weil Deutschland allein kein militärischer Player von Relevanz ist. Die Schweiz hat m. E. mit der Bürgenstock-Konferenz versucht, das zu machen, was ihr diplomatisch möglich ist, aber die Resultate halte ich für höchst überschaubar.
Gibt es Modelle, wie Europa in 10, 50 Jahren aussehen könnte militärisch gesehen? oder was für Konflikte noch kommen könnten
Dr. Fritz Kälin: Nur etwas ist klar: Heute sind wir von schwach gerüsteten Freunden umgeben. In 10, 15 Jahren werden diese wieder nach- oder aufgerüstet sein. Wer diese Armeen dann politisch befehligen wird? Wir wissen alle, wie sich die innenpolitischen Verhältnisse in unseren Nachbarländern seit Jahren verschieben...
Michael M. Olsansky: Es wird wohl in den sicherheitspolitischen Denkfabriken und Thinktanks solche Überlegungen geben, aber faktisch weiss einfach niemand, was in 10-50 Jahren sein wird. Wir wissen ja nicht einmal, wie sich der Ukrainekrieg am Ende diesen Jahres zeigt. Niemand hätte sich vor 10 Jahren vorstellen können, dass Europa heute sicherheitspolitisch in der Situation befindet, in der es sich befindet, alle als gesichert geltenden Annahmen sind über den Haufen geworfen worden («Es gibt nie mehr Krieg in Europa etc.»). Ich wäre schlicht sehr vorsichtig.
Hat die Schweiz (oder gibt es weltweit Beispiele) eine Art Solidaritätsabkommen mit anderen Ländern? Dass sich Länder humanitäre Hilfe zusichern, im Krisenfall Flüchtlinge aufnehmen, usw. (also kein Kriegsbündnis, sondern eher ein humanitäres Bündnis). Vielen Dank für die Antwort
Antoine Chaix: Meines Wissens gibt es keine derartigen Bündnisse. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass wir in der Schweiz im diplomatischen und humanitären Bereich eine Rolle spielen könnten, die ein relevanterer Beitrag zu Konfliktlösungen leisten könnte.
Ist es ratsam Waffen zu kaufen wenn zu erwarten ist, dass infolge der grossen Nachfrage die Preise von den Rüstungsfirmen nach oben angepasst werden. Wäre es nicht nicht besser in die militärische Infrastruktur zu investieren? Wie z.B. moderne Waffenplätze, Kasernen, Ausbildung und Verteidigungsanlagen?
Daniel Langenegger: Das eine tun, das andere nicht lassen. Investitionen in unsere Infrastruktur sind wichtig und richtig. Wenn man aber jetzt nicht Rüstungsgüter bestellt, dann wird man automatisch in der Reihe zurückgestellt. Dann werden Rüstungsgüter erst geliefert, wenn es schon viel zu spät sein könnte.
Wo gibt es Ihrer Meinung nach am meisten Baustellen in der Armee ?
Dr. Fritz Kälin:
- Wir verschwenden unsere teuer ausgebildeten und ausgerüsteten Armeeangehörigen, indem wir sie meist schon vor dem 30. Altersjahr aus dem Dienst entlassen.
- Mit der Armee XXI setzte vor 20 Jahren die Demontage einer Kriegslogistik ein, um die unsere Armee einst beneidet wurde. Deren Wiederaufbau kostet leider mehr Zeit als Geld – und wie viel Zeit uns die globale Lageentwicklung lässt, wissen wir nicht.
- Unsere Truppe braucht mehr Platz, um realistisch üben zu können. Wenn wir im nahen Ausland trainieren wollen, müssen wir einen Gegenwert einbringen – und das wird schwierig, wenn unsere Verteidigungsausgaben bald sogar denen von Österreich hinterherhinken.
- Unsere Rüstungsindustriebasis wird ohne Exportmöglichkeiten wegbrechen – was uns im Ernstfall genauso bitter fehlen würde wie Munition und Soldaten.
Was ist längefristig für die Schweizer Wirtschaft rentabler, eigene Aufrüstung und Armee oder Nato-Beitritt? Danke für Ihre Antwort. liebe Grüsse
Dr. Fritz Kälin: Wir können entweder für unsere eigene Armee bezahlen – oder für die Schutzleistung fremder Armeen. Letzteres kostet aber nicht nur Geld, sondern im vorne herein die Unabhängigkeit, zu deren Verteidigung die Bundesverfassung unsere Armee ja vorsieht.
Warum werden die Diensttage in der Armee nicht erhöht angesichts der massiv verschlechterten Sicherheitslage in Europa ? Ein AdA leistet nur noch 240 Diensttage, ausgenommen die Durchdiener, die nur 15% der RS-Leistenden umfasst, die 85% AdA / Sdt im WK-Dienstmodell leisten total nur 240 Tage und angesichts der umfangreichen Ausbildungsinhalte in RS und WK sind 240 DT für die AdA in der heutigen Lage viel zu wenig. Woran liegt es ? Dass wir zu wenig Material & Munition haben um die Diensttage und somit die WK-Anzahl zu erhöhen und damit auch den Armee-Bestand oder am politischen Unwillen und der erschreckenden politischen Ignoranz, dass alles halb so schlimm sei und seitens der Sicherheitsprofis reiner Alarmismus und Panikmache betrieben wird ? Die Schweiz war 1914 unvorbereitet und 1939 ebenfalls, jedes Mal war es politisches Versagen und die Armee war in beiden grossen europäischen Kriegen in einem denkbar schlechten Zustand, als sie dann zum Aktivdienst aufgeboten wurde.
Dr. Fritz Kälin: Sie haben Recht. Es bräuchte nicht mal mehr Diensttage pro Soldat, aber wir könnten sie länger in der Armee eingeteilt lassen. Früher wurde der Militärdienst ja über verschiedene Altersklassen verteilt geleistet. Nur so konnte eine glaubwürdig grosse Armee aufgestellt werden, die volkswirtschaftlich tragbar war. Bundesbern macht allmählich Ernst mit einer Dienstpflichtreform – hoffentlich wird dieser bewährte Ansatz wiederaufgegriffen.
Wieso sollen wir der NATO vertrauen, wenn die schon in anderen Ländern so viel Mist gebaut hat?
Daniel Langenegger: Es geht nicht darum, der NATO zu vertrauen, sondern mit einem Bündnis, mit uns freundlich gesinnten Staaten eine positive Zusammenarbeit zu pflegen. Das gegenseitige Verständnis ist schlussendlich ein Schlüssel zum Frieden (frei nach Herfried Münklers Theorie des demokratischen Friedens)
Guten Abend, liebe Fachrunde. In Costa Rica gibt es keine Armee mehr und das scheint den Leuten nichts auszumachen, im Gegenteil, funktioniert ja wunderbar. Wir könnten so viel einsparen. Ist so ein Szenario möglich in der Schweiz?
Antoine Chaix: Ich war in humanitärem Einsatz in schwierigen und gefährlichen Gegenden. Unsere Sicherheit war einzig und allein durch Unparteilichkeit und das Verständnis unserer Arbeit gegeben. Wenn es uns gelänge, eine relevante Vermittlerrolle und Neutralität, die so gelebt und verstanden wird, zu entwickeln, so denke ich, dass dies ein in meinen Augen grösserer Beitrag wäre an unsere Sicherheit als eine schlagfähige Armee.
Ist der Krieg in der Ukraine der Beweis wie gefährlich die russischen Streitkräfte oder wie schwach diese sind?
Michael M. Olsansky: Die russischen Streitkräfte sind nicht so schwach wie erhofft und nicht so stark wie bisweilen befürchtet. Eine präzise Einschätzung ist nur sehr schwer möglich, da wir viele Aspekte des Ukrainekriegs und der inneren Vorgänge in der russischen Armee zu wenig genau kennen. Aber man muss verstehen, dass die russische Armee von heute nicht die russische Armee des Jahres 2030 sein wird. Die russischen Streitkräfte lernen aus diesem Krieg aktuell massiv, wenn auch mit hohen Verlusten, da sie einen militärisch fähigen und entschlossenen Gegner haben. Aber die russische Rüstungsindustrie produziert auf Hochtouren und die russische Armee setzt die Ukraine unter Druck, ohne überhaupt richtig mobilisiert zu haben. Demgegenüber haben die europäischen Nato-Armeen seit Jahrzehnten keinen konventionellen Krieg mehr geführt, von einer militärischen Unterlegenheit Russlands auszugehen wäre entsprechend naiv.
Wie stark würden Sie die militärische Kraft der Schweiz einschätzen? Gibt es da Anhaltspunkte, um das anschaulicher zu machen. DAnke
Dr. Fritz Kälin: Die Schweiz hätte das Potenzial – personell, wirtschaftlich und technologisch –, um sich wieder eine Armee zu leisten, die nicht nur kostet, sondern ihr Geld wert ist. Aber wir haben schon viel Zeit verloren, um nachzurüsten.
Ist die Idee der Schweizer Neutralität nicht langsam veraltet und im 20. Jahrhundert hängen geblieben? Denn meiner Meinung nach, wäre die Schweiz sicherer, wenn sie sich endlich klar zu Europa und der NATO positionieren würde.
Dr. Fritz Kälin: Die Schweiz blieb nach 1945 neutral, weil sie berechtigte Zweifel hatte, ob und wie gut die Nato ihr im Ernstfall tatsächlich beistehen könnte. Heute ist die Nato politisch viel gespaltener, ihre Munitionslager bedenklich leer und ihre Rüstungsindustrie nicht imstande, diese rasch aufzufüllen. Schwache Verbündete bergen auch Risiken...
Was meinen Sie, tragen Medien durch die Darstellung von Konflikten (z.B. Ukraine, Gaza) unbeabsichtigt zur Normalisierung kriegerischer Rhetorik bei?
Antoine Chaix: Ich würde sogar weiter gehen und behaupten, dass durch die Überflutung von Bildern, die über das, was wir normalerweise als Menschen verarbeiten können, zu einer gewissen Gefühlsabstumpfung führt. Damit wird die Tragik und Brutalität des Krieges ungewollt oder unbewusst verharmlost.
Guten Abend, mich würde interessieren: Warum sinkt die Bereitschaft zur militärischen Grundausbildung in der Schweiz – und spiegelt das ein globales Phänomen wider?Merci und liebe Grüsse
Daniel Langenegger: Grundsätzlich zeigen die Zahlen nicht eine sinkende Bereitschaft zur militärischen Grundausbildung. Die Rekrutierungszahlen sind in der Schweiz ziemlich stabil. Was Sie ansprechen ist vermutlich die stärkere Betonung des Individuums, was sich in einer grösseren Anzahl an Abgängen in den Zivildienst zeigt, die nicht aus Gewissensgründen, sondern aus «Bequemlichkeitsgründen» erfolgen. Dies ist ein durchaus globales Phänomen, insbesondere in den westlichen Staaten.
immer wieder höre ich von vielen, dass sich gar nicht bereit wären, für die schweiz in den Krieg zu ziehen oder ihr Leben zu opfern. Wie steht es Ihrer meinung nach um die Moral in der Armee? ich glaube nicht, dass mit so einer Einstellung kriege gewonnen können.
Daniel Langenegger: Die Moral in der Truppe entspricht der Moral im Querschnitt der Bevölkerung. Solange die Bedrohung und deren Auswirkung noch relativ diffus ist, ist diese naturgemäss eher tief. Wenn die Bedrohung näher ist, dann sieht die Verteidigungsbereitschaft sofort anders aus, wie sich zurzeit beispielsweise in Finnland und in Schweden zeigt.
was würden Sie als Experte der Schweiz empfehlen bezüglich Neutralität und Aufrüstung.
Michael M. Olsansky: Letztlich sind das Fragen des politischen Standpunkts und da äussere ich mich als VBS-Angestellter nur zurückhaltend. Ich würde aber meinen, dass die Schweiz den Kern der traditionellen Neutralität durchaus bewahren sollte, d. h. Nichtbeteiligung an einem Kriege fremder Mächte. Aber Neutralität alleine schützt nicht, das hat die Geschichte vielfach gezeigt. Und wenn man sich selbst in extremis nicht alleine verteidigen kann, dann braucht man potenzielle Partner, und darum kann man sich nicht erst kümmern, wenn der bewaffnete Konflikt bereits angebrochen ist. Kurzum: Man muss sich verteidigen können, und dafür braucht die Schweiz jetzt wirklich gezielte Aufrüstung. Und man sollte für den Notfall Partner zur Seite haben, das muss man im Rahmen der neutralen Möglichkeiten andenken und ausloten.
Wie will sich die Schweiz alleine verteidigen können, bei diesem bescheidenen Militärbudget. Alleine müsste die Schweiz mind. 5% vom BIP aufwenden und auch als NATO Mitglied wären es noch 2-3,5%.
Daniel Langenegger: Die Schweiz muss in letzter Konsequenz sich selber verteidigen können. Die geografische Lage führt jedoch dazu, dass dies, solange in Europa die gleichen Werte gelebt werden und es sich beim Angreifer um einen aus einem aussereuropäischen Land handelt, vermutlich in irgendeiner Form im Verbund stattfinden wird. Die Schweiz soll dann Ihren Beitrag leisten. Und vermutlich reichen dann die beschlossenen 1 % des BIP nicht.
Wie gross sehen Sie die Gefahr eines Dritten Weltkriegs in Anbetracht der Weltlage?
Dr. Fritz Kälin: Als Militärhistoriker könnte es in 50 Jahren schwieriger sein zu erklären, weshalb es doch nicht zu einem Weltkrieg kam, als nachzuzeigen, wie die Welt in die nächste Katastrophe schlitterte. Der letzte Papst Franziskus stellte bereits einen «Weltkrieg auf Raten» fest.
wozu all diese kriegsrethorik??? macht uns diese aggressive Aufrüstung nicht eher zur Zielscheibe, frage ich mich?? Und wie sieht es um unsere Cybersicherheit aus, muss da nicht eher was investiert werden?
Antoine Chaix: Zu einer der Fragen möchte ich gerne Stellung nehmen. Ich denke, dass nicht nur die Kriegsrhetorik ein Problem ist, sondern die allgemeine Eskalation. Ich denke, dass die Schweiz mit einer echten, im humanitären Sinn ausgelegten Neutralität zur Deeskalation ein Beitrag leisten könnte, der sonst (fast) kein anderer Staat leisten könnte. Allerdings sind wir von diesem Neutralitätsverständnis weit weg. Die Cyber(un)sicherheit ist bestimmt ein wichtiges Thema, aber alles andere als mein «Fachgebiet».