Wer verkleidet als Bettelweib oder Edeldame durch eine Stadt läuft, der wird sicher schräg angeschaut. Wenn Marie-Christine Egger das in Solothurn tut, staunen höchstens Auswärtige.
Egger und ihre unzähligen Kostüme gehören mittlerweile zum Stadtbild. Die 58-Jährige ist ausgebildete Krankenschwester, arbeitet heute tagsüber als Podologin und wäre eigentlich gerne etwas anderes geworden.
«Wenn ich das Rad nochmals zurück drehen könnte, ja, dann würde ich gerne Schauspielerin werden. Jetzt mache ich diese szenischen Führungen als Hobby, und ich mache das mit jedem Jahr lieber.»
Dirnen im Militär
Seit 30 Jahren bietet die 58-Jährige szenische Führungen an. Sie begleitet Besucher aus der Region und der ganzen Schweiz durch die Stadt, zeigt Sehenswürdigkeiten und bringt mit Anekdoten die Besucher zum Lachen und Nachdenken.
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Bild 1 von 3. Wenn Marie-Christine Egger in eine ihrer Rollen schlüpft, tut sie das mit ganzem Herzen und vollem Körpereinsatz. Hier ist sie als Marketenderin unterwegs. So nannte man im 16. Jahrhundert die Frauen im Militär. Sie waren unter anderem für die Logistik zuständig. Bildquelle: SRF/Bähram Alagheband.
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Bild 2 von 3. Hier ist die 58-Jährige als Frauenzimmer aus dem Mittelalter unterwegs. Ein Frauenzimmer hat eigene Zimmer, deren Schlüssel sie stolz am Kleid trägt und präsentiert. Öfters macht Marie-Christine Egger mehrere Führungen an einem Abend und wechselt dabei mehrmals das Kostüm und die Figur... Bildquelle: SRF/Bähram Alagheband.
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Bild 3 von 3. ... und ist dabei häufig auch als Nachtwächterin unterwegs. Diese Rolle gehöre zu ihren Lieblingsrollen, so Marie-Christine Egger. Der Nachtwächter erzählt über heilende Wirkungen von Kräutern und über den Alkoholkonsum zur damaligen Zeit: Es gab nämlich früher für jeden Patienten des alten Bürgerspitals täglich fast anderthalb Liter Wein. Bildquelle: Bähram Alagheband/SRF.
«Im 16. Jahrhundert waren im Solothurner Militär auch Frauen im Dienst, zuständig für die Logistik, aber auch für andere Dienste - wenn sie wissen, was ich meine. Aber dafür gab's eigentlich die Dirnen. Die hatten dann auch Dirnen-Uniformen an, damit man wusste, wer für was zuständig ist.»
Kostüme, Kurse und Kosten
Bis zu 300 Führungen macht sie pro Jahr. An manchen Tagen gibt es gleich mehrere Führungen hintereinander, bei denen sie bis zu vier Mal das Kostüm wechselt.
Der Aufwand ist gross: Jedes Kostüm ist eine Einzelanfertigung nach historischen Bildern, mit einem Wert von mehreren 1000 Franken. Egger hat sich selber beigebracht, mittelalterliche Blasinstrumente zu spielen, und hat Kurse für mittelalterliche Tänze besucht. «Zur Geschichte gehört auch die Musik. Geschichte ist nicht nur Architektur. Gerade in Musik und Tanz kann man Geschichte sehr gut zeigen.»
Wichtig für den Tourismus
Für ihre Arbeit erhält Marie-Christine Egger am Freitag den Preis des Solothurner Heimatschutzes. Dies für die Vermittlung des kulturhistorischen Erbes der Stadt Solothurn während 30 Jahren. Von ihrer Arbeit profitieren auch die Stadt und der Tourismus.
So sagt beispielsweise Peter Basler, Wirt des Solothurner Restaurants Roter Turm: «Marie-Christine Egger ist sicher ein grosser Gewinn für Stadt Solothurn. Sie hat ein Nischenprodukt entdeckt, das Solothurn in die ganze Schweiz hinaus trägt. Egger lebt für die Geschichte und erzählt lebendige Geschichte hier, in der Gegenwart.»