Wenn Ignazio Cassis, FDP-Nationalrat und Arzt über Politik spricht, kann es auch einmal poetisch werden. Die Politik ist ein Akt der Liebe, der Liebe zur Gemeinschaft und zur Nation, in die man geboren wird.
Diese Aussage, die er einem Wahlkampfportrait gemacht hat, ist ein recht gutes Beispiel dafür, wie Cassis funktioniert. Er poltert nicht rum, drückt sich gewählt aus, ja, eben manchmal sogar poetisch. «Ich habe gewisse poetische Züge, das stimmt. Ich finde viele Inspirationen in Aphorismen und auch in der Poesie.»
Die gepflegte Ausdrucksweise und das grundanständige Auftreten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Cassis weiss, was er will. Und er weiss auch ganz genau, was er nicht will. Er will sich nicht von der anderen rechtsbürgerlichen Kraft, der SVP, vereinnahmen lassen: «Absolut nicht. Bei der Europapolitik werden wir grosse Differenzen haben. Die FDP wird ihren eigenen Weg gehen, auch mit dem Ziel, diese Themenführerschaft zu besetzen.» Ein freisinniger Schmusekurs mit der SVP ist für Cassis kein Thema.
Nicht auf der Seite der SVP
Diese klare Unabhängigkeitserklärung würde Cassis‘ Rivale im Kampf um das Fraktionspräsidium wohl genauso unterschreiben. Denn auch Christian Wasserfallen, der junge Berner, will nichts wissen von einer grundsätzlichen, grossen, gemeinsamen Anstrengung im rechtsbürgerlichen Lager unter der Bundeshauskuppel: «Warum sollten wir. Wir haben klar ein eigenständiges Programm. In dieser Legislatur wird die SVP in entscheidenden Themen wie beispielsweise der Asylthematik und der Beziehung zu Europa auf der anderen Seite stehen.»
Christian Wasserfallens politischer Weg hat bis jetzt praktisch ununterbrochen nach oben geführt. Nach sieben Jahren im Nationalrat ist er bereits Vizepräsident der FDP, und mit 34 Jahren ist er nun Anwärter auf die Fraktionsführung.
Das Argument, er habe ja im Grunde genommen noch viel Zeit, um später einmal so ein Amt zu übernehmen, lässt Wasserfallen nicht gelten. «Ich wurde ein halbes Jahr nach Abschluss meines Studiums in den Nationalrat gewählt. Es wartet niemand auf einen im Bundeshaus. Das habe ich von Anfang an zu spüren bekommen», sagt er.
Jetzt sei er aber bereit für diese Aufgabe. Doch weiss Wasserfallen um sein grösstes Handicap. Er ist weder Romand noch Tessiner. Die lateinischen Freisinnigen innerhalb der Fraktion wünschen sich aber einen Vertreter einer sprachlichen Minderheit als Fraktionschef. Neben dem Aargauer Parteipräsidenten Philipp Müller soll nicht auch noch der Fraktionsführer aus dem Mittelland stammen. Doch Wasserfallen macht aus dem vermeintlichen Nachteil einen Vorteil: «Ich sehe da eine Chance. Der Kanton Bern ist ein Brückenkanton zwischen beiden Sprachen, und das kann ich perfekt ausfüllen.»
Ein Fraktionschef ist ein Diener
Auf die Frage, wie er seine eigenen Leute unter der Bundeshauskuppel führen würde, sagt er, er möchte vor allem eine Vertrauensperson sein, sowohl gegen innen wie gegen aussen verlässlich und kein Machtmensch.
Das hat er gemeinsam mit Ignazio Cassis, der sagt: «Ein Fraktionschef ist kein König. Er ist ein Diener der Fraktion.» Wer in diesem Sinne der FDP-Fraktion die nächsten 4 Jahre dient, entscheidet sich am 20. November.