Mag sich das Gros der National- und Ständeratskandidaten noch so gewissenhaft auf den Wahlkampf vorbereiten – erstaunlich viele von ihnen bestrafen die sozialen Medien mit blanker Nichtbeachtung. Einige haben noch gar nie einen Facebook- oder Twitter-Account besessen, andere lassen ihn verwaisen.
Inserate, Stand- und Plakat-Aktionen werden deutlich höher gewichtet als Tweets und Posts: Besonders augenfällig ist das bei Kandidierenden sehr kleiner Kantone – aber bei weitem nicht nur, sagt Politologe Mark Balsiger. Aus Bern, Zürich oder Genf gibt es ebenfalls Parlamentsanwärter, die für soziale Kanäle wenig übrig haben. Zum Scheitern sind sie laut Balsiger dennoch nicht verurteilt. «Auch Kandidaten grosser Kantone werden es diesen Herbst ins Parlament schaffen, ohne je auf Social Media aktiv gewesen zu sein.»
Skeptiker und Bewusst-Verweigerer
Wieso sich also die Mühe machen, Stunden im Netz zu verbringen, um möglichst viele Likes und Freunde zu sammeln? Die direkte Interaktion könne vor den Wahlen sehr gut funktionieren, zumal die Kanäle gerade für jüngere Wähler relevant seien, sagt Balsiger. Oft überwiege bei den Politikern allerdings die Skepsis. «Es gibt ‹Bewusst-Verweigerer›, die sich nicht wohlfühlen im Umgang mit sozialen Medien und auch nicht daran glauben.» Oder Facebook und Co. würden schlichtweg als Zeitfresser ohne sichtbaren Ertrag angesehen.
Die Parteien überlassen es weitgehend ihren Kandidaten, ob und wie sie auf den sozialen Netzwerken agieren, wie eine – nicht abschliessende – Umfrage zeigte. Richtlinien oder gar einen Nutzungszwang gebe es nicht, sagte etwa Flavia Wasserfallen, Co-Generalsekretärin der SP auf Anfrage von SRF News. Man biete den Mitgliedern aber Weiterbildungen an, so habe es erst vergangenen Monat eine Social-Media-Schulung gegeben. «Wichtig ist, dass der Auftritt zur Person passt.»
Für CVP-Generalsekretärin Béatrice Wertli ist es ebenfalls Sache der Kandidaten, allfällige Facebook- oder Twitter-Accounts zu bewirtschaften. Sie würden dabei aber unterstützt, zum Beispiel durch Workshops in den jeweiligen Kantonen. Bei der SVP sind einzig die Kantone für die Auswahl, Ausbildung und Betreuung der Kandidaten verantwortlich. Vorgaben von der Parteispitze gebe es keine, so die stellvertretende Generalsekretärin Silvia Bär.
Wer im Netz nicht authentisch ist, fällt durch – früher oder später
Solche Richtlinien wären der Sache auch nicht förderlich, sagt Politologe Mark Balsiger. «Wer im Netz nicht authentisch ist, fällt durch – früher oder später.» Gar keine Chance gibt er Twitter-Neulingen, die sich kurz vor den Wahlen noch einen Namen in der virtuellen Welt machen wollen. Twitter folge einer klaren Hierarchie, wobei der Bekanntheitsgrad die entscheidende Grösse darstelle. «Jetzt rasch damit anzufangen, ist vergebene Liebesmühe.» Viele Nutzer würden verkennen, dass die sozialen Netzwerke eben nicht wie klassische Werbung funktionierten. «Kurzfristig durch die Kanäle zu wirbeln, klappt nicht.»