Anlässlich der Feierlichkeiten zum 500-Jahre-Jubiläum der Reformation sprechen wir mit Christoph Sigrist. Der Grossmünster-Pfarrer erzählt, wie Zwingli die grossen Fragen der heutigen Zeit beantworten würde.
Der Umgang mit Andersgläubigen
Gegenüber Andersgläubigen kannten die Reformatoren wenig Gnade. Die Täufer, eine Glaubensgemeinschaft welche die Erwachsenentaufe propagierte, wurden auch in Zürich verfolgt und in der Limmat ertränkt. «Da können wir wirklich von der Reformation lernen, wie man es nicht macht», sagt Sigrist. Zwingli sieht Sigrist als Kind seiner Zeit. Mit Todesurteilen sollten Flanken geschlossen und Identität geschaffen werden. Diese Zeit sei vorbei, «heute gilt es, Versöhnungsarbeit zu leisten.» Im Fall der Täufer sei dies geschehen: 2004 entschuldigten sich Kirchen- und Stadtrat offiziell für die begangenen Verbrechen an den Täufern und stellten an der Limmat einen Gedenkstein auf. Eines der wichtigsten Impulse der Reformation in der heutigen Zeit, glaubt Sigrist
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Das Verhältnis zu Europa
Wie steht die Schweiz zu Europa? Welche Rolle soll sie spielen? Soll sie der EU angehören oder nicht? Diese Fragen sind seit Jahrzehnten umstritten und brisant. Auch die Reformation war europaweit eine neue religiös-politische Kraft. Allerdings scheiterte das Treffen der europäischen Reformatoren im deutschen Marburg.
Huldrych Zwingli und Martin Luther seien vor allem an der Sprache gescheitert, erzählt Christoph Sigrist.
Die Reformatoren hätten sich bei der Frage zur Bibelauslegung sprachlich nicht verstanden. Auch heute spielt die Sprache eine wichtige Rolle, wenn es um die europäische Frage geht. Im Interview beleuchtet Christoph Sigrist, wie wichtig die Sprache ist, um im Dialog bleiben zu können.
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Der Sozialstaat
Was ist Sozialmissbrauch? Dürfen Sozialhilfebezüger ein Auto und ein Smartphone besitzen? Das Thema ist hochaktuell.
Auch zu Zwinglis Zeiten habe es schon Sozialmissbrauch gegeben, sagt Christoph Sigrist. Zum Beispiel wenn die Menschen sonntags nicht in die Kirche, sondern zu Prostituierten gingen.
Im Interview erzählt Sigrist weiter, mit der Umnutzung der Predigerkirche und dem Aufbau einer Stadtküche habe Zwingli in Zürich das erste Sozialsystem aufgebaut.
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Die Gleichberechtigung
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, AHV-Alter, Frauen in der Politik: Auch heute noch gibt die Gleichberechtigung zu reden.
Zwingli stand am Anfang einer neuen Beziehung von Mann und Frau. So verbat er etwa Zwangsheiraten und führte ein neues Eherecht ein. Unter anderem, um seine Ehe mit Anna Reinhart zu legalisieren.
Doch eins ist klar, sagt Christoph Sigrist im Interview: Zwingli war ein Patriarch, als heutige Frau möchte man kaum mit ihm verheiratet sein.
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Das Zürcher Selbstverständnis
Die Zürcherinnen und Zürcher sind modern, städtisch – manche mögen sagen arrogant. Wir sind Bildungsstandort, Wirtschaftsmotor und Partystadt. So oder ähnlich wird Zürich im Jahr 2017 beschrieben.
Ein bisschen Partygänger war Huldrych Zwingli auch. Jedenfalls keineswegs so puritanisch, wie es oft dargestellt wird, sagt Christoph Sigrist. Und typisch Zürich war schon vor 500 Jahren die Verbindung von Gold und Geist: «Für Zwingli war klar: Ohne Geld keine Vision.»