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Wirtschaft Betrug als immanentes Prinzip in Grossunternehmen

Ohne Wissen der Führungsebene ist der VW-Skandal nicht denkbar. Die Schuldigen zu suchen greift zu kurz. Das Ritzen von Regeln bis hin zum Betrug hat System. Unter Kosten-Nutzen-Aspekten lohnt sich Schummeln und Schweigen.

Der VW-Skandal um die getricksten Abgaswerte ist noch lange nicht ausgestanden. Die Frage bleibt, ob VW ein Einzelfall ist oder systematisch getrickst wird, wo Erfolgsdruck herrscht. Organisationssoziologe Marcel Schütz ist davon überzeugt, dass das Biegen von Regeln in Grossfirmen System hat.

Club: Hat Sie als Organisationsforscher der Sündenfall von VW überrascht?

Marcel Schütz: Nein. In Organisationen läuft es dann rund, wenn nur weniges wirklich ganz klar und verbindlich ist, das heisst, wenn nützliche Nischenlösungen entstehen. Ein zentrales Problem grosser Organisationen ist, dass es nur wenigen Organisationsmitgliedern gelingt, im eigenen Haus den Überblick zu behalten. Vielen wird das zum Verhängnis. Abteilungsleiter in Versicherungsfirmen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Makler die Grenze zwischen geduldetem Tricksen und betriebsschädigendem Verhalten genau vor Augen haben. Sie können aber nur begrenzt überwachen und schon gar nicht in die Köpfe der Leute schauen.

Im Fall von VW wundert viele, dass Juristen nicht eingeschritten sind. Diese kommen meist erst dann zum Zuge, wenn der Skandal ein Skandal ist. Mit Blick auf einen Autokonzern heisst das, dass die Ingenieure das Heft in der Hand haben.

Zur Person:

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Marcel Schütz forscht als Organisationssoziologe an der Universität Oldenburg (D) und ist Dozent für Organisation und Prozesse. Zudem war er im Personalwesen tätig.

Gab es keine Kontrollorgane, die systematischen Betrug erkennen können?

Ein Konzern wie VW ist ummantelt von Kontrollorganen und internen Richtlinien. Genau das ist sein Problem. Die positiven Effekte dieser Kontrollstruktur werden nämlich konsequent überschätzt. Viele Kontrollen dienen nicht zuletzt der Legitimation, alles getan zu haben, um Missbrauch zu meiden.

War die Konzernleitung blind auf einem Auge oder hat sie bewusst weggeschaut?

Es ist nicht vorstellbar, dass ein solches Ausmass ohne Kenntnis der obersten Etage erreicht werden kann. Irgendwann tauchen nämlich doch einmal merkwürdige Vorgänge auf der eigenen Kostenstelle auf. Im konkreten VW-Fall ist aber etwas anderes wahrscheinlich: Man könnte von beteiligter Nichtbeteiligung ausgehen. Das Prinzip ist trivial und überall bekannt: Bestimmte Verfahren werden nicht explizit geduldet, aber zumindest ansatzweise registriert. Man wundert sich über Resultate, die man sich vor dem Hintergrund der eingesetzten Mittel nicht erklären kann; man bekommt eine Ahnung, ein dumpfes Gefühl, wird nachdenklich und macht sich seinen Reim auf die Dinge. Vielleicht ist es für geordnete Aufklärung dann bereits zu spät.

Würde man nun aufräumen, wäre das Risiko gross als «Management-Versager» selbst «hängen» zu müssen. All jene, die bei VW noch auf der Gehaltsliste stehen und mehr wissen, werden sich gut überlegen, ob es opportun erscheint, reinen Tisch zu machen. Unter Kosten-Nutzen-Aspekten lohnt es sich zu schweigen. Vielleicht wird man ja noch gekündigt. Aber dann bitte nicht, weil man so dämlich war, sich als Aufklärer zu präsentieren und zum Dank als Opfer zu enden.

Warum gehört das schrittweise Ritzen von Regeln und Gesetzen bis hin zum Betrug zum immanenten System von Grossorganisationen?

Unternehmen von erheblicher Grösse und mit der entsprechenden Symbolträchtigkeit leisten sich immer wieder Machtproben mit der Konkurrenz, mit der Politik, mit der Justiz. Man testet aus, was geht, wie weit man gehen kann. Keine Organisation, die etwas auf sich hält, kann sich den Luxus erlauben, alles an die Öffentlichkeit zu bringen, was für die Öffentlichkeit interessant sein könnte. Sie schützt sich über die Fassade. Die Gesellschaft erwartet attraktive, ehrliche, aufgeräumte Unternehmen.

Gilt Ihre Analyse auch für Schweizer Grossunternehmen?

Grundsätzlich ist diese Praxis nicht an Ländergrenzen gebunden. In der Schweiz ist die Fifa-Affäre auch zum heissen Thema geworden. Und wer könnte die leidenschaftlichen Debatten um die tatkräftigen «Hilfsmassnahmen» der Schweizer Banken zugunsten deutscher Steuerflüchtlinge vergessen.

Es ist in diesen Tagen beliebt, die Vorfälle regional oder branchenspezifisch isoliert zu betrachten. Das ist natürlich auch eine Strategie, um die hohe Aufmerksamkeit für das Thema zu reduzieren. Ich kann überhaupt nicht erkennen, weshalb ein Schweizer Grossunternehmen vor informellen Praktiken mehr gefeit sein sollte als ein deutsches. Erst recht in Zeiten eines internationalisierten Managements ist die Suche nach regionalen Unterschieden ziemlich abwegig.

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