Despina hat genug. Diese Krise treffe nicht nur die Wirtschaft, sie habe sich auf die Menschen übertragen. Nach acht Jahren Rettungsprogramm stellt die Athener Studentin ihrer Heimat ein Armutszeugnis aus: «Ich sehe nicht, dass man versucht, sich irgendwie weiterzuentwickeln».
Despina wird Griechenland demnächst verlassen. Wie gut eine halbe Million andere gut ausgebildete Griechinnen und Griechen, die seit Krisenbeginn gegangen sind. Ein herber Verlust für ein Land mit gut 11 Millionen Einwohnern.
Früher Mittelstand, heute mittellos
Spiros wird bleiben. Nicht weil er zu alt zum Gehen ist. Er hätte auch kein Geld für das Ticket. Spiros sitzt auf der Wartebank in der Sozialklinik Elliniko am Stadtrand Athens. Dorthin gehen jene, die sich den Selbstbehalt für Medikamente nicht leisten können, den die Regierung in der Krise eingeführt hat. Sie erhalten die Medikamente gratis – dank Spendern aus ganz Europa.
Früher kamen nur Langzeit-Arbeitslose wie Spiros in die Sozialklinik. Mittlerweile trifft er hier Rentner und solche, die einst zum Mittelstand gehörten.
Spiros’ Ausdruck, seinen wachen Blick, hat die Krise nicht bezwungen. Seine Hoffnung schon: «Wenn es diese Klinik nicht mehr gibt? Dann springst du über die Klippe. Das ist doch kein Leben.»
Als Gegenleistung für die Milliardenkredite von EU, EZB und IWF musste Griechenland harte Sparmassnahmen durchsetzen und mehr als 450 Reformen durchführen. Tiefere Renten, höhere Steuern, Privatisierungen. All das hat das Land hart getroffen.
Der Finanzkommissar der EU sagte im Juni: Jetzt, wo das Hilfsprogramm auslaufe, sei die Krise in Griechenland vorbei. Für Spiros muss das ein Hohn sein.
Diamanten zwischen Brachen
Die Menschen sind gezeichnet nach acht Jahren Krise. Und die Wirtschaft? Sie wächst wieder. 1,4 Prozent im letzten, 2 Prozent in diesem Jahr. Man hört wieder Optimisten. Wie den Immobilienmakler Konstantinos Petridis.
Er steht auf einem Balkon, blickt auf heruntergekommene Häuserreihen in der Athener Innenstadt und sagt: «Ich sehe hier nicht nur Krise. Ich fühle mich wie auf einem Flohmarkt, wo alte Sachen zu Tiefstpreisen verschleudert werden. Für mich sind das hier Diamanten.»
Sein Business-Modell ist simpel: Er kauft Immobilien, die während der Krise 40 Prozent und mehr an Wert eingebüsst haben. Er renoviert sie, wertet sie auf, verkauft sie teuer weiter.
Goldenes Visum für Reiche
Zwei Entwicklungen befeuern Petridis’ Geschäft: Erstens müssen viele Griechen einen Teil ihrer Immobilien verkaufen, weil sie sich den Unterhalt nicht mehr leisten können und die Grundstücksteuer, welche die Regierung in der Krise eingeführt hat.
Zweitens sind seine Käufer meist Ausländer, und diesen rollt Griechenlands Regierung geradezu den roten Teppich aus. Wer Immobilien für mindestens 250'000 Euro kauft, erhält ein goldenes Visum – eine Aufenthaltsgenehmigung für sich und seine Familie und zugleich Zugang zum Schengen-Raum. Nirgends ist dieses Privileg so günstig zu haben wie in Griechenland.
Die Krise: Sie hat vielen Griechen den Besitz genommen. Ausländische Investoren profitieren. Und heimische Immobilien-Makler.
Keine Aussicht auf neue Kredite
Die negativen Stimmen aus der Wirtschaft jedoch überwiegen. Jene von Mina Fida-Dai etwa. Ihre Schuhfabrik feiert 2019 das 100-Jahr-Jubiläum. Vor der Krise hatte die Inhaberin über 20 Millionen Euro in neue Produktionslinien gesteckt. 24'000 Paar Schuhe liessen sich damit täglich fertigen. Aktuell sind es nur 1500.
Mina Fida-Dai musste 100 Stellen abbauen. Und sie weiss nicht, wie sie die aufgetürmten Schulden zurückzahlen soll. Die Chancen auf neue Kredite sind gleich null. Griechenlands Banken vergeben keine mehr, da sie auf bereits ausfallgefährdeten Krediten von fast 100 Milliarden Euro sitzen.
«Ich wünschte, die Banken würden den Geldhahn wieder aufdrehen», sagt die Unternehmerin. Es gehe um 2 Millionen, keine Riesen-Beträge. «Das bräuchten wir, um die Kurve zu kriegen.»
Staat zieht 86 Prozent des Firmengewinns ein
Die Zurückhaltung der Banken erschwert den Unternehmern das Leben. Und der Staat tut es. Davon kann Dimitris Chatzikotoulas ein Lied singen. Zwar läuft sein Geschäft, er handelt mit T-Shirts und verkauft sie vorwiegend in die boomende Tourismus-Industrie.
Nur: Von seinem Gewinn gingen 86 Prozent für Krankenversicherungen und vor allem für Steuern drauf, erzählt er. «Der Staat ist noch immer so ineffizient, dass er Unmengen Geld braucht. All die Staats-Angestellten müssen ja jeden Monat entlöhnt werden». Also ziehe der Staat bei Unternehmern hohe Steuern ein statt endlich eine Verwaltungs-Reform anzupacken, die diesen Namen verdiene.
A propos Steuern: Über 4 Millionen Griechinnen und Griechen haben bei der Steuerbehörde ihre Steuerschuld nicht beglichen. Das sind zwei Drittel aller Steuerpflichtigen. Mehr als die Hälfte von ihnen schuldet dem Staat weniger als 500 Euro.
Man muss sich dies vor Augen führen: Millionen Menschen, die selbst eine Steuerschuld von 500 Euro nicht begleichen wollen. Oder können.
Und in Brüssel sprechen sie vom Ende der Krise.
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