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Für tiefere Einkaufspreise Coop liefert sich Machtkampf mit Nestlé

  • Coop verbannt gegen 150 Produkte des Nahrungsmittelmultis Nestlé aus den Gestellen. Was an Lager ist, soll mit grossen Rabatten abgegeben werden.
  • Der Detailhändler will mit dieser Massnahme tiefere Einkaufspreise für Nestlé-Produkte durchsetzen.
  • Auch die deutsche Edeka, die französische Intermarché und die italienische Conad boykottieren derzeit einen Teil des Nestlé-Sortiments.
  • Grund für dieses parallele Vorgehen: Sie alle sind über eine Einkaufsallianz namens Agecore verbunden.

Im Detailhandel ist der Kampf um Marktanteile unerbittlich. Bei der grossen Masse der Kunden können die Detailhändler fast nur noch punkten, wenn sie billiger sind als die Konkurrenz. Doch dieser Preisdruck hat Folgen.

Es werde für Detailhändler immer schwieriger Gewinne zu erzielen, sagt Handelsmanagement-Experte Thomas Rudolph von der Universität St. Gallen: «Die Einkaufsrendite im Schweizer Detailhandel liegt bei Lebensmitteln zwischen einem und drei Prozent.» Das sei etwa im Vergleich mit der Pharmaindustrie sechs- bis achtmal weniger.

Um die Gewinnmargen irgendwie halten zu können, kämpfen die Detaillisten unter anderem bei den Herstellern um Rabatte. Und das funktioniert am besten, wenn sie in einem grösseren Verbund auftreten: «Die Händler versuchen über diese Allianzen Mengen zu bündeln und damit die Einkaufspreise zu senken», sagt Rudolph.

Allianz mit beträchtlicher Machtfülle

Um für eine möglichst grosse Produkte-Palette Rabatte herausschlagen zu können, schliessen sich die Detailhändler über die Landesgrenzen hinweg zusammen. Derzeit gibt es sechs grosse Einkaufskooperationen in Europa.

Sie heissen zum Beispiel Agecore, EMD oder Coopernic und sind in der Schweiz, Belgien oder den Niederlanden domiziliert. Meist angeführt von einem der ganz grossen der Branche wie den deutschen Edeka und Rewe oder den französischen Auchan und Casino.

In der Öffentlichkeit treten die Allianzen kaum in Erscheinung, doch die Hersteller bekommen die Grösse in den Verhandlungen durchaus zu spüren. Alleine hinter Agecore, der grössten Allianz, in der auch Coop sitzt, stehen Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von rund 140 Milliarden Euro. Und diese kämpfen hinter verschlossenen Türen offenbar mit Haken und Ösen.

Die Forderungen der Einkaufsallianzen haben mutmasslich ein Ausmass erreicht, das die Lieferanten wirtschaftlich nicht mehr länger für tragbar ansehen.
Autor: Michael Bauer Kartellrechtler

Der Brüsseler Kartellrechtler Michael Bauer, der Nahrungsmittelhersteller vertritt, betrachtet die Machtfülle der Einkaufsallianzen mit Argwohn. Der Anwalt wundert sich nicht, dass der Konflikt mit Nestlé, immerhin der grösste Nahrungsmittelhersteller der Welt, eskaliert sei.

Bauer meint: «Aus Sicht von Nestlé – sicher aber auch von anderen Unternehmen – haben die Forderungen der Einkaufsallianzen mutmasslich ein Ausmass erreicht, das sie wirtschaftlich nicht mehr länger für tragbar ansehen.»

Zum aktuellen Streitfall wollte sich heute weder Nestlé noch Coop, als Schweizer Vertreterin der Agecore, äussern. Es ist jedoch anzunehmen, dass es auch in diesem Streit zu einer Einigung kommen wird. Denn weder wollen die Händler zu lange auf beliebte Markenartikel verzichten, noch will es sich Nestlé leisten, aus mehreren europäischen Handelsketten zu verschwinden.

Die Kunden profitieren nicht zwingend

Eine Zeit lang werden jedoch beide den Machtpoker mitspielen können. Das zeigte sich vor einiger Zeit, als Schweizer Händler Nivea-Produkte aus den Gestellen verbannten, bis die Herstellerin Beiersdorf bereit war, die Währungsgewinne nach dem Frankenschock teilweise weiterzugeben.

Doch dass dieser Poker immer im Sinne der Kunden ausgeht, stellen die Experten in Frage. Immer wieder komme es nämlich vor, dass die erzielten Preisnachlässe von den einzelnen grossen Detaillisten nur langsam oder gar nicht weitergegeben werden.

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