Still und diskret ist SBB Immobilien über die Jahre zur wichtigsten Geldmaschine des Bahnunternehmens geworden. Allein mit Bahnhöfen verdiente die Sparte vergangenes Jahr 350 Millionen Franken.
Zudem entwickelt SBB Immobilien schweizweit an rund 100 Standorten eigene Wohn- und Gewerbeliegenschaften. Die Mieteinnahmen 2018 ausserhalb der Bahnhöfe: rund 150 Millionen Franken. Alle Areale von SBB Immobilien entsprächen zusammengebaut in etwa der Fläche der Stadt Genf.
Volksvermögen bringt Rendite
Das Land hat die SBB vor hundert Jahren für den Bau der öffentlichen Infrastruktur erhalten. Zum Teil wurden dafür Private und Gemeinden enteignet.
Die Grundstücke und Gebäude seien über die Zeit zu Volksvermögen geworden. Damit müssten die SBB treuhänderisch umgehen, wenn sie es heute – hundert Jahre später – nicht mehr für den Bahnbetrieb brauchten, sagen Kritiker von links und rechts. Reine Rendite-Maximierung und der Verkauf von Grundstücken an Private passten nicht dazu.
Neugasse-Areal in Zürich
Doch das passiere gerade in Zürich. Dort plant SBB Immobilien auf dem Areal «Neugasse» beim Hauptbahnhof ein Grossprojekt: Gewerberäume sowie 300 bis 400 Wohnungen.
Der langjährige, ehemalige Zürcher Stadtparlamentarier Niklaus Scherr von der alternativen Liste hat die Geschäftspraxis von SBB Immobilien durchleuchtet: «Es ist eine Grundsatzfrage, ob ein öffentlicher Betrieb wie die SBB, der Land auf dem Zwangsweg bekommen hat – teilweise über Enteignungen -, beliebig darüber verfügen kann wie ein privater Immobilien-Investor».
Das gilt auch für die Neugasse. Denn auch hier wurden Teile des ehemals städtischen Areals in den zwanziger Jahren enteignet. Aktivisten des Zürcher Vereins «Neugasse» verlangen nun, dass SBB Immobilien deutlich mehr als ein Drittel gemeinnützige Bauten realisiert, insbesondere Wohnungen.
«Wir sind auf Kompromiss-Suche. Statt einem Drittel etwas mehr als die Hälfte gemeinnützige Bauten auf diesem Areal. Der Stadtrat hat vom Parlament den Auftrag gefasst nachzuverhandeln» , sagt Niklaus Scherr.
Die Aktivisten wollen eigentlich noch weiter gehen: Die SBB solle das Land an den ursprünglichen Besitzer, die Stadt Zürich, zurückverkaufen. Die SBB will davon bislang nichts wissen.
Güterbahnhof in Zug
Auch in Zug regt sich Widerstand gegen Pläne von SBB Immobilien. Dort will sie mit dem Areal des Güterbahnhofs das grosse Geld machen. Mieterin war bislang die Stadt, die darauf den Öki-Hof betreibt, die einzige städtische Recycling-Anlage.
Auf dem Streifen an der Nordseite des Bahnhofs wären Wohnbauten von bis zu sechzig Metern Höhe möglich.
Willi Vollenweider war Grossgemeinderat, zuletzt als Parteiloser, zuvor bei der SVP. Er ist empört: «Das bisherige Verhalten der SBB Immobilien war ganz klar Gewinnmaximierung. Man sieht das sehr schön an der Europaallee in Zürich, wo einfach Luxuswohnungen gebaut und zum Teil versteigert wurden an den Meistbietenden. Das will ich in Zug unbedingt vermeiden».
Nutzen für die Allgemeinheit
Das Wertsteigerungspotenzial am Zuger Güterbahnhof ist riesig. Umso mehr sollte SBB Immobilien die Stadt und Allgemeinheit daran teilhaben lassen: «Ich denke an Gesundheitszentren, Arztpraxen, vielleicht ein Kino, vielleicht Schulen, Privatschulen, Weiterbildungsinstitutionen, die auf eine gute Verkehrsanbindung angewiesen sind», meint Willi Vollenweider.
Er hat Druck aufgebaut. Wegen ihm strebte die Stadt eine Rückzonung des Baulandes an. SBB Immobilien drohte daraufhin mit einer Forderung nach weit über 50 Millionen Franken Entschädigung. Wie in Zürich will sie die Parzelle auch nicht an die Stadt Zug verkaufen. Der Kanton schliesslich verhinderte die Rückzonung.
Stadt und Kanton Zug hätten sehr ängstlich agiert, kritisiert Vollenweider. Somit könne die SBB machen, was sie wolle. Das gehe seiner Meinung nach aber definitiv nicht.
Der Mietvertrag der Stadt Zug mit SBB Immobilien auf dem Güterbahnhof-Areal läuft Ende 2019 «offiziell» aus. Wie es dann weitergeht, ist offen. Die Zusammenarbeit mit der SBB gestalte sich gut und konstruktiv, heisst es seitens der Stadt Zug. Man sei aber noch in einem sehr frühen Planungsstadium und könne wenig Aussagekräftiges sagen.
Immobilien-Chef Muhm: «Profitieren von ÖV-Erfolg»
Nahezu unbemerkt von Politik und Öffentlichkeit ist SBB Immobilien zu einem Giganten der Branche gewachsen – mit einer Eigendynamik, die grundsätzlich hinterfragt werden muss.
Im Interview wehrt sich der Leiter von SBB Immobilien, Alexander Muhm, dagegen, Gewinnmaximierung zu betreiben.
SRF: Herr Muhm, was ist jetzt die Zielsetzung von SBB Immobilien. Ist es, wie Kritiker sagen, die Gewinnmaximierung?
Alexander Muhm: Bei uns steht nicht die Gewinnmaximierung im Zentrum, sondern die Entwicklung der Bahnhöfe und der umliegenden Areale. Das ist uns ein Anliegen. Und da gibt es zwei Teile. Einerseits die qualitative Erhöhung und andererseits auch, ja, eine ökonomische Komponente.
Die SBB hat Areale erhalten, um Bahninfrastruktur zu betreiben, die heute zum Teil nicht mehr benötigt werden. Jetzt wird alles zum grossen Immobilien-Geschäft umfunktioniert. Ist das legitim, ohne eine politische Diskussion darüber zu führen? Denn Sie sind immer noch ein Staatsbetrieb, der Volksvermögen verwaltet?
Die Bahnhöfe gehörten schon immer zum Bahnsystem wie die Schiene. Der Kommerz in den Bahnhöfen, um den Leuten ein Angebot zu machen, das ist für uns Kerngeschäft.
Das, was sich mit der Aufwertung des Bahnsystems geändert hat – und das ist eine volkswirtschaftliche Leistung der Schweiz – ist das Interesse an den Bahnhöfen. Es ist ein grosser Vorteil, dass mit der Optimierung des Bahnsystems manche Areale, die vorher eigentlich im Nirgendwo ausserhalb der Städte waren, sich nun mitten in den Städten befinden.
Das heisst aber, die Gewinne fallen Ihnen quasi in den Schoss. Sie haben einfach enorm profitiert von der Immobilien-Entwicklung der letzten Jahre?
Nein. Wir haben enorm vom Zugsystem und von den Schweizerinnen und Schweizern profitiert, die sagen: Dieser ÖV ist uns sehr wichtig. Wir fahren die meisten Kilometer weltweit. Die Menschen bringen die Frequenzen und bringen den Mehrwert.
Und ja, die Aufwertung der Areale hat damit zu tun, dass der öffentliche Verkehr eine Erfolgsstory ist. Das hängt sehr eng zusammen.
Wir sind dagegen, weil es nicht in unsere Strategie passt.
Warum verkaufen Sie Areale nicht wieder an Städte zurück, an die öffentliche Hand? Zum Beispiel die Neugasse in Zürich. Das wäre eine Möglichkeit?
Da sind wir dagegen. Weil das nicht in unsere Strategie passt. Die Verkäufe fahren wir massiv zurück. Sie wurden gemacht, um das Portfolio zu bereinigen und um sich nicht zu verschulden. Das ist vielleicht in der öffentlichen Diskussion untergegangen.
Das heisst Sie möchten laufende Mieteinnahmen und nicht sporadisch etwas verkaufen wegen einmaliger Erlöse. Jetzt sind es etwa 500 Millionen Franken Mieteinnahmen. Was streben Sie an?
Langfristig, über 20 Jahre, wollen wir eine Verdoppelung dieser Erträge auf ungefähr eine Milliarde. Das ist das Ziel. Um die SBB finanziell robuster zu machen. Und um das Geld zurück ins System fliessen zu lassen.
Wir haben beispielsweise 800 Bahnhöfe. Das sind grösstenteils denkmalgeschützte Gebäude. Die verlangen Unterhalt und da steckt kein öffentliches Geld drin, sondern das wird über die Immobilien finanziert.
Die Pensionskasse stabilisieren, das Portfolio erhalten und die Infrastruktur mitfinanzieren, das ist unser Auftrag.
Das Interview führte Reto Lipp.